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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Geld.«
    Jean-Pierre wusste , dass der Mann kein Geld hatte. Er gab ihm hundert Afghanis. Auf diese Weise konnte er sich später vergewissern, ob der malang auch wirklich nach Charikar gegangen war. Gab es eine Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, das Päckchen auch tatsächlich abzuliefern?
    Jean-Pierre sagte: »Wenn du es tust, gebe ich dir so viele Tabletten, wie du willst. Aber versuche nicht, mich zu täuschen - denn wenn du das tust, so werde ich es wissen, und ich werde dir nie wieder Tabletten geben, und deine Bauchschmerzen werden immer schlimmer werden, und du wirst anschwellen, und dann platzt dein Bauch wie eine Granate, und du wirst unter Schmerzen sterben. Hast du verstanden?«
    »Ja.«
    Jean-Pierre starrte ihn an. Das Weiße in den Augen des Verrückten weitete sich. Sie spiegelten blankes Entsetzen wider. Jean-Pierre gab ihm die übrigen Tabletten. »Nimm jeden Morgen eine, bis du wieder in Banda bist.«
    Der malang nickte eifrig.
    »Geh jetzt und versuche nicht, mich zu täuschen.«
    Der Mann gehorchte sofort. Dem rauen Pfad folgend, lief er mit den für ihn typischen Bewegungen - wie ein Tier. Während er in der Dunkelheit verschwand, dachte Jean-Pierre: Die Zukunft dieses Landes liegt in deinen verdreckten Händen, du armer, verrückter Hund. Möge Gott mit dir sein!
     

     
     
    Eine Woche später war der malang noch nicht zurückgekehrt.
    Am Mittwoch, dem Tag vor dem Treffen, wurde Jean-Pierre von Minute zu Minute nervöser. Immer wieder sagte er sich, der Mann könne jeden Moment auftauchen. Schon in den Tagen zuvor war Jean-Pierres Unruhe gewachsen.
    Wie um seine Sorgen noch zu vergrößern, hatte die Aktivität russischer Flugzeuge eindeutig zugenommen. Die ganze Woche über klang das Heulen der Düsenmaschinen durch das Tal, wo sie die Dörfer bombardierten. Banda hatte Glück gehabt: Nur eine Bombe war gefallen, und sie hatte lediglich ein großes Loch in Abdullahs Kleefeld hinterlassen; doch der unaufhörliche Lärm und die dauernde Gefahr hinterließen eine allgemeine Gereiztheit. In Jean-Pierres Klinik fand sich, wie vorauszusehen, eine Patientenschar mit Stresssymptomen ein. Es gab Fehlgeburten, alle möglichen Unfälle, unerklärlichen Brechreiz und Kopfschmerzen. Es waren die Kinder, die von Kopfschmerzen gequält wurden. In Europa hätte Jean-Pierre Psychiatrie empfohlen. Hier schickte er sie zum Mullah. In Wirklichkeit würden weder die Psychiatrie noch der Islam viel zustande bringen, denn das Übel, unter dem die Kinder litten, war der Krieg.
    An diesem Morgen nahm er sich mechanisch Patient auf Patient vor, stellte ihnen Routinefragen, gab dann Jane seine Diagnose auf französisch. Er legte Wundverbände an, gab Spritzen, verteilte Tabletten und Tropfen, während er gleichzeitig unablässig darüber nachgrübelte, was geschehen sein mochte. Der malang würde zwei Tage gebraucht haben, um Charikar zu erreichen. Ein weiterer Tag mochte draufgegangen sein, bis er den Mut fand, sich einem russischen Soldaten zu nähern. Wenn er dann die Nacht über schlief und am nächsten Morgen aufbrach, hatte er abermals eine Zweitagereise vor sich.
    Aber nach diesem Schema war die Sache offenbar nicht gelaufen, denn sonst hätte der Mann schon vor zwei Tagen wieder eintreffen müssen. Was war passiert? Hatte er das Päckchen unterwegs verloren und traute sich nun nicht nach Banda zurück? Hatte er die Tabletten alle auf einmal genommen und war davon krank geworden? War er in den verdammten Fluss gefallen und ertrunken? Hatten die Russen auf ihn ein Übungsschießen veranstaltet?
    Jean-Pierre warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war halb elf. Jede Minute konnte der malang eintreffen, mit einem Päckchen russischer Zigaretten als Beweis dafür, dass er in Charikar gewesen war. Jean-Pierre überlegte kurz, wie er Jane die Zigaretten erklären würde, und kam zu dem Schluss , dass die Handlungen eines Verrückten keiner Erklärung bedurften.
    Er war gerade dabei, einem kleinen Jungen, der sich die Hand an einem Kochfeuer verbrannt hatte, zu verbinden, als von draußen das Geräusch von Schritten hereindrang und Grüße laut wurden. Es war also jemand eingetroffen. Jean-Pierre verbarg seine innere Anspannung und fuhr fort, die Hand des Jungen zu umwickeln. Als er Janes Stimme hörte, drehte er den Kopf und sah zu seiner tiefen Enttäuschung, dass nicht der malang gekommen war, sondern zwei Fremde.
    Der eine sagte: »Gott sei mit dir, Doktor.« »Und mit euch«, erwiderte Jean-Pierre. Um einem

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