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Die Löwen

Die Löwen

Titel: Die Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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geleistet hatte, das würde in der russischen Armee nicht anders sein: Man schob die Verantwortung einem anderen, meist Höherrangigen zu.
    Wie konnte er es anstellen, dass das › Ding ‹ von Hand zu Hand weitergereicht wurde, möglichst bis zu einem hohen Offizier? › Wichtig ‹ oder › KGB ‹ oder irgendwas auf französisch oder englisch oder selbst in der Dari-Sprache zu schreiben, hatte keinen Zweck, weil der Soldat weder europäische noch persische Buchstaben würde entziffern können. Jean-Pierre seinerseits kannte keine russischen Schriftzeichen. Es war wirklich verrückt, dass die Frau auf dem Dach, die gerade ein Wiegenlied sang, fließend Russisch sprach und ihm hätte helfen können.
    Schließlich schrieb er Anatoli - KGB in lateinischer Schrift, klebte das Etikett auf den Tablettenspender und legte ihn in eine leere Medikamentenschachtel, auf der in fünfzehn Sprachen und drei internationalen Symbolen Gift! stand. Um die Schachtel band er eine Schnur.
    Rasch legte er alles andere wieder in die Arzttasche, wobei er die in Astana verbrauchten Medikamente durch neue ersetzte. Er nahm eine Handvoll Diacetylmorphin-Tabletten und ließ sie in seine Hemdtasche gleiten. Schließlich wickelte er die Gift!- Schachtel in ein altes Handtuch.
    Er verließ das Haus. »Ich gehe zum Fluss , mich waschen«, rief er Jane zu.
    »Okay.«
    Mit schnellen Schritten durchquerte er das Dorf, nickte grüßend ein paar Leuten zu, ging dann weiter, durch die Felder. Seine Pläne waren mit allen möglichen Risiken verknüpft, aber er konnte doch wieder auf einen großen Erfolg hoffen. Er ging an einem Kleefeld vorbei, das dem Mullah gehörte, und stieg eine Reihe von Terrassen hinab. Einen guten Kilometer vom Dorf entfernt befand sich, auf einem felsigen Ausläufer des Bergs, eine einzelne, zerbombte Hütte. Es begann zu dunkeln, als Jean-Pierre sich ihr langsam näherte. Jetzt hätte er gut eine Taschenlampe oder eine Laterne gebrauchen können. Vor dem Trümmerhaufen, der einmal die Vorderfront des Hauses gebildet hatte, blieb er stehen. Die Dunkelheit und der Geruch hielten ihn davon ab einzutreten. »He!« rief er.
    Irgendetwas regte sich am Boden und jagte ihm einen Schreck ein. Fluchend sprang er zurück.
    Der malang stand auf.
    Jean-Pierre starrte in das knochige Gesicht mit dem verfilzten Bart. Ja, es war der Verrückte, wer sonst. Seine Fassung wiedergewinnend, sagte Jean-Pierre in der Dari-Sprache: »Gott sei mit dir, heiliger Mann.«
    »Und mit dir, Doktor.«
    Jean-Pierre atmete erleichtert auf. Offenbar traf er den Verrückten in einer Phase an, wo dieser seine Sinne leidlich beieinanderhatte . »Was macht dein Bauch?«
    Der Mann mimte Magenschmerzen. Jean-Pierre holte Tabletten aus seiner Hemdtasche, gab ihm eine und ließ ihn die anderen sehen, bevor er sie zurücktat. Der malang schluckte die Tablette und sagte: »Ich möchte mehr.«
    »Du kannst mehr haben«, erwiderte Jean-Pierre. »Viel mehr.«
    Der malang streckte die Hand aus.
    »Aber du muss t etwas für mich tun«, sagte Jean-Pierre.
    Der malang nickte eifrig.
    »Du muss t nach Charikar gehen und dies einem russischen Soldaten geben.« Obwohl die Reise nach Charikar einen Tag länger dauerte, hatte sich Jean-Pierre für diese Stadt entschieden. Rokha erschien ihm nicht sicher genug: Es war eine Rebellenstadt, zurzeit von den Russen besetzt, und womöglich herrschten dort Wirren, sodass das Päckchen leicht verloren gehen konnte. Charikar hingegen war russisches Territorium. Im übrigen war es wohl besser, wenn der malang das Päckchen einem russischen Soldaten übergab, statt damit zu einem Postamt zu gehen.
    Aufmerksam betrachtete Jean-Pierre das ungewaschene Gesicht des Mannes, wobei er sich fragte, ob der Verrückte wenigstens diese einfachen Anweisungen verstanden hatte; doch der angstvolle Ausdruck bei der Erwähnung des russischen Soldaten beseitigte Jean-Pierres Zweifel: Ja, der malang hatte begriffen.
    Aber wie konnte Jean-Pierre sich vergewissern, dass der malang die Anweisungen auch wirklich befolgte? Genau wie jeder andere konnte er ja das Päckchen einfach wegwerfen und nach seiner Rückkehr Stein und Bein schwören, er habe den Auftrag ausgeführt; denn wenn er intelligent genug war, die Anweisungen zu verstehen, so war er gewiss auch intelligent genug, Jean-Pierre etwas vorzulügen.
    Dem Arzt kam ein rettender Einfall. »Und kaufe ein Päckchen russische Zigaretten«, sagte er.
    Der malang streckte seine leeren Hände vor. »Kein

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