Die Löwen
würden den Russen gewiss töten.
»Keine Sorge«, sagte Anatoli, der offensichtlich begriff, was in Jean-Pierres Kopf vorging.
»Das sind Soldaten der regulären afghanischen Armee. Ich habe sie geschickt, um dich zu holen.«
»Mein Gott!« Das war brillant. Keine Rede mehr von einem Bombenangriff auf Skabun -
es handelte sich um eine List, die Anatoli ausgeheckt hatte, um sich mit Jean-Pierre zu treffen. »Morgen«, sagte Jean-Pierre aufgeregt, »wird etwas ungeheuer Wichtiges stattfinden -«
»Ich weiß, ich weiß – ich habe deine Botschaft erhalten. Deshalb bin ich ja hier.«
»Dann werdet ihr euch also Masud schnappen …?«
Anatoli lächelte, und Jean-Pierre sah seine tabakverfleckten Zähne. »Wir werden uns Masud schnappen. Beruhige dich nur.«
Jean-Pierre spürte, dass er sich benahm wie ein aufgeregtes Kind zu Weihnachten. Mit Mühe unterdrückte er seine Freude. »Als der malang nicht zurückkam, dachte ich…«
»Er traf gestern in Charikar ein«, sagte Anatoli. »Weiß Gott, was ihn unterwegs aufgehalten hat. Warum hast du nicht dein Funkgerät benutzt?«
»Es ist kaputtgegangen.« Jean-Pierre verzichtete darauf, den wahren Ablauf der Geschichte und Janes Rolle dabei zu erzählen. Dazu war immer noch Zeit. »Der malang ist bereit, alles für mich zu tun, weil er rauschgiftsüchtig ist und ich ihn mit Heroin versorge.«
Anatoli betrachtete Jean-Pierre sehr aufmerksam, und in seinen Augen spiegelte sich so etwas wie Bewunderung. »Ich bin froh, dass du auf meiner Seite stehst«, sagte er.
Jean-Pierre lächelte.
»Ich möchte mehr wissen«, fuhr Anatoli fort. Er legte einen Arm um Jean-Pierres Schultern und führte ihn in die Hütte. Sie setzten sich auf den Erdboden, und der Russe zündete sich eine Zigarette an. »Woher weißt du von diesem Treffen?«
Jean-Pierre berichtete ihm von Ellis, von dessen Verwundung und von dem Gespräch zwischen Masud und Ellis, gerade als er, Jean-Pierre, im Begriff stand, dem Amerikaner eine Spritze zu geben, und er sprach auch von den Goldbarren, dem Ausbildungsprojekt und dem versprochenen Waffennachschub.
»Toll«, sagte Anatoli. »Wo befindet sich Masud jetzt?«
»Das weiß ich nicht. Aber er wird in Darg eintreffen, vielleicht schon heute, spätestens morgen.«
»Wie kannst du das wissen?«
»Er war es ja, der zu dem Treffen aufgerufen hat - und da wird er mit Sicherheit zur Stelle sein.«
Anatoli nickte. »Gib mir eine Beschreibung des CIA-Mannes.«
»Knapp eins achtzig groß, Gewicht rund hundertfünfzig Pfund, blondes Haar und blaue Augen, vierunddreißig Jahre alt, wirkt aber etwas älter, Collegebildung.«
»Das werden wir mal in den Computer geben.« Anatoli stand auf und ging nach draußen.
Jean-Pierre folgte ihm.
Der Russe holte ein kleines Funkgerät aus der Tasche, zog die Antenne heraus, drückte auf eine Taste und begann leise auf russisch hineinzusprechen. Dann blickte er zu Jean-Pierre. »Mein Freund, du hast deinen Auftrag erfolgreich ausgeführt«, sagte er.
Ja, dachte Jean-Pierre, es ist wahr, erfolgreich! Er fragte: »Wann werdet ihr zuschlagen?«
»Morgen natürlich.«
Morgen. Jean-Pierre empfand einen wilden Triumph. Morgen.
Die anderen sahen zum Himmel auf. Jean-Pierre folgte ihren Blicken und machte einen rasch näher kommenden Hubschrauber aus, wahrscheinlich per Funk von Anatoli herbeibeordert. Der Russe verzichtete auf die
üblichen Vorsichtsmaßnahmen: Das Spiel war fast vorüber, und wegen der knappen Zeit blieb ihm wohl auch gar keine Wahl - jetzt galt es, schnell und entschlossen zu handeln.
Die Maschine landete, nicht ohne Mühe, auf einem kleinen Flecken ebener Erde, rund hundert Meter von den Männern entfernt.
Sie gingen auf den Helikopter zu. Unwillkürlich fragte Jean-Pierre, was er nach dem Abflug tun sollte. Nach Skaburi brauchte er nun nicht zu gehen. Andererseits konnte er aber auch nicht sofort nach Banda zurückkehren, weil dann allzu offenkundig gewesen wäre, dass er weder in Skabun noch sonst wo Bombenopfer hatte behandeln müssen. Er beschloss , ein paar Stunden in der Steinhütte zu warten, bevor er den Rückweg antrat.
Er streckte die Hand aus, um sich mit einem Händedruck von Anatoli zu verabschieden.
»Au revoir.«
Der Russe beachtete die ausgestreckte Hand nicht. »Steig ein.«
»Was?«
»Klettere in den Hubschrauber.«
Jean-Pierre war wie vor den Kopf geschlagen. »Warum?«
»Du kommst mit uns.«
»Wohin? Nach Bagram? Auf russisches Territorium?«
»Ja.«
»Aber ich kann doch
Weitere Kostenlose Bücher