Die Löwen
eine Menge reichhaltiger Sachen bei sich gehabt, Schokolade, Suppenkonzentrate, anderes mehr. Jetzt würden sie nur haben, was sich im Tal finden ließ: Reis, getrocknete Früchte, Käse, hartes Brot - und was immer sie unterwegs kaufen konnten. Nur gut, dass sie sich um Chantals Ernährung keine Gedanken zu machen brauchten.
Allerdings gab es andere Probleme mit dem Baby. Die Mütter verwendeten hier keine Windeln. Sie ließen den Po des Babys unbedeckt und wuschen das Tuch, auf dem es lag.
Jane fand, dass diese Methode weit gesünder war als die westliche, doch für die Reise taugte sie nichts. Jane hatte aus Handtüchern drei provisorische Windeln gemacht und dazu aus den Plastikhüllen für Jean-Pierres Medikamentenvorrat ein wasserdichtes Unterhöschen. Jeden Abend würde sie eine Windel waschen müssen - in kaltem Wasser natürlich – und versuchen, sie über Nacht zu trocknen. Für den Fall, dass sie nicht trocknete, war die Ersatzwindel da. Waren beide feucht, würde Chantal wund werden.
Aber daran starb bestimmt kein Baby, beschwichtigte sie sich. Natürlich würde der Konvoi keine Rast einlegen, damit die Bedürfnisse eines Babys befriedigt werden konnten: Schlaf, Stillen, Windeln wechseln. Also musste Chantal gestillt werden und schlafen, während der Konvoi in Bewegung war; und die Windeln musste Jane wechseln, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot.
In mancher Hinsicht war Jane zäher als vor einem Jahr. Die Haut an ihren Füßen war hart, und ihr Magen verkraftete viele der Erreger, die es hier gab. Ihre Beine, die ihr bei der Herreise so wehgetan hatten, waren jetzt daran gewöhnt, viele Kilometer zurückzulegen. Doch schien die Schwangerschaft sie anfällig gemacht zu haben für Rückenschmerzen, und sie fragte sich besorgt, wie das wohl werden würde, wenn sie den ganzen Tag lang das Baby trug. Ansonsten hatte sich ihr Körper von den Strapazen der Geburt offenbar gut erholt. Sie hatte das Gefühl, auch wieder körperlich lieben zu können, obwohl sie Jean-Pierre noch nichts davon gesagt hatte - warum, wusste sie nicht recht.
Seinerzeit, nach der Ankunft, hatte sie mit ihrer Polaroid-Kamera viele Aufnahmen gemacht. Die Kamera würde sie zurücklassen - es war eine billige -, aber natürlich wollte sie die meisten Bilder mitnehmen. Sie sah die Fotos durch. Welche sollte sie wegwerfen?
Sie hatte die meisten Dorfbewohner fotografiert. Hier waren die Guerillas, Mohammed und Alishan und Kahmir und Matullah, die lächerlich heroische Posen einnahmen und wild dreinblickten. Hier waren die Frauen, die üppige Zahara, die runzlige alte Rabia und die dunkeläugige Halima, alle drei wie Schulmädchen kichernd. Hier waren die Kinder: Mohammeds drei Töchter, sein Sohn Mousa; Zaharas winzige Orgelpfeifen, zwei, drei, vier und fünf Jahre alt; und die vier Kinder des Mullahs. Sie konnte kein einziges Bild wegwerfen: Sie musste sie alle mitnehmen.
Sie packte Kleidungsstücke in eine Tasche, während Fara den Fußboden fegte und Chantal nebenan schlief. Sie waren früh von den Höhlen zurückgekommen, um an die Arbeit zu gehen. Zu packen gab es allerdings nicht viel: außer Chantals Windeln nur noch ein paar Schlüpfer für Jane und eine Unterhose für Jean-Pierre, dazu für jeden ein paar Socken. An Oberbekleidung mussten sie mit dem auskommen, was sie am Leibe hatten.
Chantal besaß überhaupt keine Kleidung - sie war entweder in eine Art Schal eingewickelt oder blieb nackt. Jane und Jean-Pierre würden sich für die ganze Reise mit je einer Hose, einem Hemd, einem Halstuch und einer Decke vompattu-Typ begnügen müssen, und das ganze Zeug würden sie dann vermutlich in einem Hotel in Peschawar verbrennen - zur Feier ihrer Rückkehr in die Zivilisation.
Dieser Gedanke würde ihr Kraft geben für die Reise. Vage erinnerte sie sich daran, dass sie das Dean’s Hotel in Peschawar primitiv gefunden hatte, doch es fiel ihr schwer, sich zurückzurufen, was sie daran eigentlich auszusetzen gehabt hatte. War es denn möglich, dass sie sich über die zu laute Klimaanlage beklagt hatte? Es gab dort doch Duschen, Herrgott noch mal!
»Zivilisation«, sagte sie laut, und Fara blickte sie fragend an. Jane lächelte und sagte in der Dari-Sprache: »Ich bin glücklich, weil ich in die große Stadt zurückkehre.«
»Ich mag die große Stadt«, sagte Fara. »Ich war einmal in Rokha.« Sie fuhr mit dem Fegen fort. »Mein Bruder ist nach Jalalabad gegangen«, fügte sie mit neidischem Unterton hinzu.
»Wann wird er
Weitere Kostenlose Bücher