Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
«Nichts als ein ganz gewöhnlicher Stein!», sagte er grimmig. «Ein Stein und ein Katzenkopf. Das kommt davon, wenn man sich mit Hexen einlässt!»
«Wir hätten die Fensterläden schließen sollen …» Laura musste sich mehrmals räuspern, versuchte ihr Zittern zu verbergen. Der Katzenkopf, auf den sie getreten war, hatte sie völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie verstand selbst nicht, warum. Es war, als hätte sie ihren Fuß auf etwas unaussprechlich Entsetzliches gestellt. Etwas, das sie anspringen und angreifen würde, etwas Unerklärliches, Tödliches.
Sie ließ sich zurück in die Kissen fallen, versuchte, ruhig zu atmen. Guerrini schlüpfte in seine Schuhe und schloss die Fensterläden. Draußen gingen noch immer die Rufe der Nachbarn hin und her. Als er die Nachttischlampe anknipste, kniff Laura fest die Augen zu.
«Commissaria», sagte er leise und betrachtete sie besorgt, «du bist ja ganz blass!» Er beugte sich zu ihr und nahm sie in die Arme.
«Ich werde dieses Gefühl nie mehr vergessen», wisperte Laura. «Dieses nasse Fell unter meinem Fuß, die Knochen und Zähne …»
«Dann haben die ja ihr Ziel erreicht», knurrte er. «Morgen werden wir diesen Hexenmeistern ein bisschen auf den Zahn fühlen. Gut, dass du kein so schwaches Herz hast wie die arme Signora Malenchini.»
Laura hätte gern gelächelt, aber es ging nicht. Noch immer lief ein Zittern durch ihren Körper, und Guerrini hielt sie fest, bis sie nach langer Zeit endlich einschlief.
Als Laura in der Morgendämmerung wieder aufwachte, wusste sie plötzlich, warum der Katzenkopf sie so sehr erschreckt hatte. Schon einmal war sie mit nackten Füßen auf einen Tierkopf getreten. Es war ihre erste Begegnung mit dem Tod gewesen, einem Tod, der nicht abstrakt und fern war, wie Großeltern in einem geschlossenen Sarg. Ein kleiner Tod, hühnerkopfgroß und trotzdem riesig für das kleine Mädchen, das sie damals war. Laura bewegte vorsichtig ihre Zehen, dehnte den Spann ihres rechten Fußes. Wenn sie so in sich hineinspürte, konnte sie noch immer den hornigen Schnabel fühlen, den fleischigen Kamm, der unter ihrem Gewicht nachgab, die feuchten Federn.
Es war in einem Urlaub mit ihren Eltern gewesen, auf einem Bauernhof in Österreich, wo man Hühnern einfach den Kopf abhackte, wenn man sie schlachtete. Lauras Mutter hatte ihre Tochter jedes Mal abgelenkt, wenn hinter dem Hof wildes Hühnergackern zu hören war. Seltsamerweise hatte Laura keine Verbindung zwischen diesem Geschrei und dem knusprigen Hühnchen hergestellt, das am Abend der Gastfamilie serviert wurde.
Bis sie auf diesen kleinen Kopf getreten war.
Erst war sie entsetzt weggerannt, dann aber kehrte sie zurück, schaute sich um, wollte sicher sein, dass niemand sie beobachtete – hob blitzschnell den Hühnerkopf auf und lief in den Obstgarten hinter der Scheune. Dort versteckte sie sich hinter dem breiten Stamm eines alten Kirschbaums und begann mit ihrer Untersuchung. Es hatte ihr gegraust, und sie hatte sich gefürchtet – trotzdem schob sie mit Hilfe eines Stöckchens die Lider des toten Hahns auf, starrte in die blinden Augen. Sie sah die kleine spitze Zunge in dem offenen Schnabel, die blutigen Enden der Wirbelsäule im abgetrennten Hals. Sie legte ihren Zeigefinger auf den kalten roten Kamm, der sich wie Gummi anfühlte.
Weder den Tod noch das Leben hatte sie damals gefunden – vielleicht eher den Tod und den Schrecken. Aber sie wollte wissen, wer den Kopf des Hahns abgetrennt hatte.
Heute wusste sie es. Damals hatte sie es nicht herausgefunden. War unfähig gewesen, den netten Bauern mit diesem ruchlosen Mord in Verbindung zu bringen. Spürte beim Gedanken daran noch heute einen Hauch von Kälte. Dachte, dass es zum Erwachsensein gehört, zu wissen, dass Köpfe abgehackt werden … und nicht nur die von Hühnern.
Sie betrachtete den schlafenden Angelo, seinen leicht geöffneten Mund, lauschte auf seine leisen Atemzüge, fragte sich, ob es möglich war, einem anderen Menschen die eigenen Erfahrungen verständlich zu machen.
Der Katzenkopf war verschwunden, als Laura später nachsah. Nur ein paar verwischte Blutflecke wiesen noch darauf hin, dass sie nicht geträumt hatten. Guerrini war wütend. Mit dem Feldstein in der Tasche eilte er, immer einen halben Schritt vor Laura, zum Vermietungsbüro der Cabuns, riss die Tür auf und knallte den Stein auf den Tresen.
«Sind das die Willkommensgrüße bei Ihnen?»
Wieder war es der blasse arrogante junge Mann,
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