Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
Anstrengung nahm sie das Meer wahr. Es war schwarz und trug auf seinen Wellen ein zitterndes silbernes Gespinst.
Laura und Michele Amato begleiteten Guerrini ins Krankenhaus nach La Spezia. Es war ein Schock. Grelle Lichter, Lärm, Konfusion. Sie gerieten mitten in die Anlieferung mehrerer Unfallopfer, denen die Autostrada zum Verhängnis geworden war. Der junge Arzt, der Guerrinis Bein in Augenschein nahm, war sehr freundlich, erklärte aber ein wenig verzweifelt, dass sie warten müssten, bis die anderen behandelt und operiert worden seien.
«Es sind schwere Fälle, Sie sind ein leichter, Commissario.»
«Sind Sie sicher?» Guerrini brachte ein verzerrtes Lächeln zustande.
«Ja, ziemlich sicher. Wir werden Ihr Bein röntgen, dann wissen wir mehr.»
Guerrini wurde fortgerollt, Laura und der junge Carabiniere blieben im Warteraum zurück.
«Würden Sie mit nach draußen kommen, Commissaria? Ich möchte gern eine Zigarette rauchen. Hier drinnen ist es verboten.»
Laura nickte. Vorsichtig bewegte sie ihre Schulter. Es tat zwar höllisch weh, aber sie konnte sie bis zu einem bestimmten Grad bewegen, vielleicht war sie doch nur geprellt und nicht angebrochen. Sie folgte dem Carabiniere durch den langen Flur zum Ausgang, war froh über die frische Luft.
«Haben Sie gefunden, was Sie suchten?», fragte Amato. Er steckte eine Zigarette in seinen Mund, entzündete ein Feuerzeug und sog den Rauch tief ein. Er war ein hübscher junger Mann mit dichten lockigen Haaren. Auf der linken Wange trug er eine helle senkrechte Narbe, die seinem Gesicht eine interessante Note verlieh. Seine Augen waren lebhaft und intelligent.
«Sie haben Guerrini die Karte mit den Hütten der Cabuns gegeben, nicht wahr?», fragte Laura zurück.
Er nickte.
«Weiß Sarbia davon?»
«Nein.»
«Warum machen Sie das?»
«Weil ich nichts davon halte, dass bestimmte Leute geschont werden und andere nicht. So entsteht das, was wir Mafia nennen.» Er sog an seiner Zigarette, ein paar glühende Tabakkrümel fielen zu Boden, verlöschten im Flug.
«Das kann man hier wohl nicht mit der Mafia vergleichen.»
«Nein, aber so kann es anfangen.»
«Vielleicht.»
«Also, haben Sie etwas gefunden?»
Laura legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein. «Ich könnte Ihnen eine Geschichte erzählen, die Sie zunächst für sich behalten müssten. Ich weiß auch nicht, ob sie wahr ist, diese Geschichte.»
«Ich höre gern Geschichten.» Sein Lachen war dunkel, und Laura dachte, dass er ein erstaunlicher junger Mann war.
«Guerrini hat Ihnen vermutlich die Sache mit dem Katzenkopf und dem Stein erzählt.»
Amato nickte.
«Es war eine Warnung, vielleicht auch ein etwas primitiver Versuch, uns zu vertreiben. Es gibt in Riomaggiore eine alte Geschichte, die noch sehr lebendig ist. Eine Art Frauenverschwörung. Und ich muss gestehen, dass ich durchaus Sympathien dafür habe. Ich weiß auch nicht genau, wie ich damit umgehen soll. Es ist erschreckend, welche Energie hinter den Angriffen steckt … Kennen Sie diese Nella, Sergente?»
Er lehnte sich mit einer Schulter an die Mauer des Krankenhauses, blies den Rauch sehr langsam aus, verfolgte mit den Augen, wie er sich auflöste. «Ja, ich kenne sie.»
Laura wartete. Als er keine Anstalten machte weiterzusprechen, schaute sie ihn von der Seite an. Er schien mit seiner Zigarette beschäftigt. Sie beschloss, nicht zu drängen, setzte sich auf die Stufen vor dem Eingang.
«Warum fragen Sie nicht weiter?» Er setzte sich neben sie, zündete eine zweite Zigarette an.
«Weil Sie intelligent genug sind, zu wissen, dass Sie meine erste Frage nur halb beantwortet haben.»
«Sprechen alle deutschen Kommissarinnen so gut Italienisch wie Sie?»
«Nein.»
Wieder schwiegen sie.
«Ich kenne Nella seit einem Jahr. Sie ist eine ungewöhnliche junge Frau. Sehr schön, aber auch merkwürdig … irgendwie geheimnisvoll. Valeria war genauso. Ich war ein paarmal mit Nella aus … wahrscheinlich habe ich mich in sie verliebt.» Er sog heftig an seiner Zigarette, spuckte einen Tabakkrümel aus. Laura saß ganz still. «Aber sie sagte, dass sie mit Valeria nach Afrika gehen wolle. Um den Armen zu helfen. Sie wollte nicht die Frau eines langweiligen Carabiniere werden.»
«Tat weh?» Laura sah ihn nicht an.
«Tat weh!»
«Warum haben Sie Nella verraten, Sergente?»
«Weil ich sie beschützen will. Wer weiß, was sie noch für Unfug anstellen wird. Ich dachte, dass sie bei Ihnen und dem Commissario ganz gut
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