Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
sie in ihrem Rucksack nach der Taschenlampe, erwartete fast den nächsten Angriff.
Er kam nicht. Weit unter ihr, auf der Panoramastraße, fuhr ein Auto. Laura tastete nach ihrer Schulter, war sicher, dass sie zumindest angebrochen war. Endlich wagte sie, die Taschenlampe anzuknipsen, leuchtete den Platz vor der Hütte ab. Nichts zu sehen außer der Pfanne und einem Spaten. Wo war Angelo?
Laura kroch zur Mauer und leuchtete den Hang hinab. Er lag zwischen Felsbrocken am Rand des nächsten Weinfelds, rührte sich nicht, soweit sie das erkennen konnte.
Laura wurde schlecht.
Dann riss sie sich zusammen, steckte die Taschenlampe weg und kletterte über die Mauer. Zum Glück war der Mond gerade aufgegangen, und sie konnte ungefähr erkennen, wohin sie greifen musste, wohin ihre Füße setzen. Ihr rechter Arm war ganz taub, half nicht viel. Trotzdem schaffte sie es, irgendwie den Hang hinunterzuklettern, ohne zu fallen.
Als sie endlich bei Guerrini ankam, verharrte sie eine Sekunde auf ihren Knien, schickte ein Gebet zur schwarzen Madonna von Reggio, ehe sie die Taschenlampe nahm. Noch zögerte sie, hatte einfach Angst …
«Ich glaube, dass ich mir das Bein gebrochen habe …», flüsterte Guerrini heiser.
Laura dankte der Madonna, knipste die Lampe an, leuchtete genau in sein Gesicht. Er hielt eine Hand schützend vor seine Augen.
«Mach sie lieber aus, falls die nochmal kommen.»
Laura schaltete die Lampe aus. Ihr wurde schon wieder schlecht.
«Ich hatte Angst um dich», sagte sie. «Von oben sah es aus … als wärst du bewusstlos. Was ist denn passiert?»
«Ich weiß nicht genau», flüsterte Guerrini. «Ich war an der Mauer. Irgendwas sprang mich an und warf mich hintenüber. Ich konnte überhaupt nichts machen …»
«Clarettas Löwinnen …», murmelte Laura. «Ich denke, ich habe wenigstens eine von ihnen ganz schön erwischt.»
«Womit denn?»
«Mit einer Pfanne!»
«Dio buono!»
«Meine Schulter ist aber auch kaputt. Lass mich dein Bein sehen. Welches ist es denn?»
«Das linke.»
Laura schaltete die Taschenlampe wieder an und beleuchtete Guerrinis Bein. Oberhalb des Knöchels war es dick geschwollen und begann bereits, sich zu verfärben. Es tat offensichtlich höllisch weh, denn als sie es vorsichtig berührte, schrie er auf.
«Wie war die Nummer von dem jungen Carabiniere aus Ancona?», fragte Laura und zog ihr Handy aus dem Rucksack.
Sie verkrochen sich zwischen die Weinstöcke wie verwundete Tiere. Jetzt, da der Schock allmählich nachließ, spürten sie überall Schmerzen. Es kam Laura so vor, als erinnerte sich ihr Körper an die Schläge, die ihr Verstand nicht registriert hatte. Nicht nur die Schulter, sondern auch ihr Rücken tat weh, außerdem die linke Hüfte. Guerrini klagte ebenfalls über Rückenschmerzen und bestand darauf, dass die Taschenlampe ausgeschaltet blieb.
«Die sind noch da», flüsterte er und wies zur Hütte hinauf. Hinter dem einzigen Fenster flackerte die Petroleumlampe, dann wurde sie gelöscht. Der Mond war beinahe voll und sehr hell, was nicht besonders günstig war. Zwar konnten sie sehen, was oben bei der Hütte vor sich ging, aber sie befürchteten, auch selbst gesehen zu werden.
Etwas bewegte sich links vom Haus, an der Mauer, über die Guerrini gestürzt war. Ein schwarzes Etwas, das sich sehr anstrengte. Gleich darauf wussten sie, warum. Felsbrocken kamen den Hang herunter, rollten nur knapp an ihnen vorüber wie Geschosse.
«Verdammter Mist!», fluchte Guerrini. «Die haben ihre Seeräubertricks noch immer nicht verlernt. Fehlt nur noch das heiße Öl!»
Sie robbten unter den Weinstöcken durch zu einem Gebüsch weiter rechts. Es waren nur etwa zehn Meter, doch für Guerrini mit seinem gebrochenen Bein bedeutete es eine enorme Anstrengung. Als sie endlich hinter dem Gestrüpp liegen blieben, flach auf der Erde und völlig erschöpft, war er einer Ohnmacht nahe.
Noch immer donnerten Steine herab. Das schwarze Wesen trug jetzt die Mauer ab, wütete wie ein verrückter Dämon. Es hatte aber ihre Flucht nicht bemerkt, denn es zielte weiter auf den Weinberg.
«Irgendwann wird sie aufhören und merken, dass wir Verstärkung bekommen.» Laura legte eine Hand an Guerrinis Wange. Er fühlte sich heiß an. Hatte er bereits Fieber?
«Hoffentlich kommen sie bald», flüsterte er. «Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte …»
«Er hat versprochen, dass sie sofort losfahren. Sarbia wird auch mitkommen. Ich hab ihm die Hütte beschrieben und
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