Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
ich möchte unbedingt wissen, was in diesem Tagebuch steht. Würdest du es zusammen mit mir lesen?»
Guerrini nickte. Sie machten es sich so bequem wie möglich, stopften sich Kissen in den Rücken, legten Guerrinis Bein hoch. Dann nahm Laura das schwarze kleine Büchlein, löste den breiten Gummi, atmete einmal tief ein und schlug es auf, las die ersten Sätze und klappte es gleich wieder zu.
Ich bin in München!, stand da. Ich bin endlich da und kann es kaum fassen! Die Stadt ist wunderschön, liegt wie verzaubert unter all dem frischen Schnee! Sie glitzert und funkelt!
Laura sah Guerrini an. Er verzog ein wenig das Gesicht.
«Wird nicht leicht werden», murmelte er.
«Es wird mir das Herz brechen, wenn es so weitergeht. Ich kann mir genau vorstellen, was sie empfunden hat.»
«Lass uns versuchen, professionell zu sein. Wir suchen einen Mörder …»
«Und wir sind ganz sachlich!»
«Genau!»
«Es geht nicht, Angelo.»
«Warum nicht?»
«Weil ich eine Cabun bin. Du hast es selbst gesagt!»
«Also dann, gib mir das Buch, und ich werde die Stellen heraussuchen, wo es zur Sache geht!»
«Nein! Ich möchte sie kennen lernen. Wir lesen gemeinsam.»
Laura rückte ein bisschen näher an Guerrini heran und schlug das Büchlein wieder auf. Gemeinsam lasen sie die nächsten Seiten, begleiteten Valeria durch die Stadt, lernten die Kinder der Denners kennen und ihre ersten Zweifel über die Eltern. Sie war begeistert vom Unterricht in der Bellingua, fand eine Freundin, traf im Englischen Garten Roberto Malenge. Diese erste Begegnung beschrieb sie in so poetischen Worten, dass Laura die Tränen kamen.
Der Schnee reichte mir an diesem Nachmittag bis zu den Knien. Ich hatte frei und lief über eine Wiese im Englischen Garten, bis ich hinfiel. Es war wunderbar, im frischen Schnee zu liegen … ein weiches kaltes Bett. Vielleicht fühlt es sich so an, wenn man auf einer Wolke liegt. Und plötzlich dieses schwarze Gesicht im weißen Schnee, lachend. Schneekristalle in den Rastalocken, auf den Wimpern und Augenbrauen. Ein schwarzer Engel … warum sollte es keine schwarzen Engel geben, wenn es schwarze Madonnen gibt?
«Ich möchte, dass sie lebt, Angelo! Ich habe sie vom ersten Augenblick an wie eine Tochter gesehen.»
Guerrini verschränkte die Arme. «Ja, ich kann das verstehen. Soll ich nicht doch allein weiterlesen?»
«Nein. Ich halte es schon aus.»
Er warf ihr einen zweifelnden Seitenblick zu.
«Wirklich!»
Sie folgten der Liebesgeschichte zwischen Valeria und dem schwarzen Engel, doch allmählich schob sich etwas Dunkles zwischen die Zeilen. Die Denners machten Valeria das Leben schwer. Ihr konnte sie nichts recht machen, und er stellte ihr nach.
Heute musste ich dreimal hintereinander den Küchenboden putzen, weil er Madame immer noch nicht sauber genug war. Ich muss mir eine andere Familie suchen … Andererseits kann ich doch die beiden Kinder nicht allein lassen. Sie sind sowieso ganz verlassen. Ihre Eltern haben nie Zeit für sie …
Sie lasen schneller, folgten gespannt den sich häufenden Zwischenfällen im Hause Denner.
Heute Abend allein mit den Kindern. Als ich sie ins Bett gebracht hatte, kam er nach Hause. Trank ein Glas Whisky und kam zu mir in die Küche. Er hat mich von hinten umarmt. Ich konnte mich nicht rühren. Wenn er mich weiter belästigt, muss ich wirklich gehen!
«Besonders schöne Röcke muss er unbedingt haben», murmelte Laura.
«Was meinst du?» Guerrini lehnte sich zurück und schloss die Augen.
«Ich sagte: Besonders schöne Röcke muss er unbedingt haben! Das sind die Worte von Dr. Denners Mutter. Sie kann ihren Sohn nicht besonders leiden und hält ihn für einen Weiberhelden.»
«Gibt es das? Mütter, die ihre Söhne nicht leiden können?» Er machte seine Augen halb auf.
«Ja, das gibt es. Ich habe das schon ein paarmal erlebt. Allerdings waren das Mütter von Mördern.»
«Vielleicht wurden sie deshalb zu Mördern …»
«Möglich.»
«Vielleicht muss dieser Denner alle Frauen erobern, weil er seine Mutter nicht erobern konnte?»
«Mal langsam, Angelo. Ich hab was gegen Küchenpsychologie.»
«Was ist denn das?», lachte er.
«Das ist die wörtliche Übersetzung eines deutschen Begriffs für Psychologie auf der untersten Stufe.»
Er zog sie an sich.
«Au!», sagte sie.
«Willst du damit sagen, dass ich Psychologe auf der untersten Stufe bin?»
«Ja.»
Er lockerte seinen Griff. «Lass uns weiterlesen. Obwohl ich als Mann es nicht besonders
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