Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
überraschend tief und heiser.
«Wer ist wir?» Laura wandte sich um und schaute die junge Frau an.
«Sehen Sie, das ist einer der Gründe, warum ich nicht mit Maresciallo Sarbia reden kann … solche Fragen, wie Sie gerade eine gestellt haben.»
«Aber Nella. Das sind doch ganz normale Fragen. Wenn Sie ‹wir› sagen, dann weiß ich natürlich, dass Sie nicht allein waren, und ich nehme an, dass die zweite Person einen Namen hat und dass dieser Name Simonetta lautet.»
«Woher … wer hat Ihnen das gesagt? Sie sind eine deutsche Commissaria! Wer erzählt Ihnen solche Sachen?»
«Jemand, der sehr klug ist, Nella. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Ich weiß, dass Sie Valeria sehr geliebt haben. Ich kenne auch die Geschichte der Cabun-Frauen. Mein Vorschlag, Nella: Ich und der Commissario vergessen, was in den Weinbergen passiert ist. Sie erzählen mir aber, was in München geschehen ist – an dem Abend, als Sie Doktor Denner trafen.»
Nella warf Laura einen entsetzten Blick zu. «Ist … ist er tot? Sind Sie deshalb gekommen?»
Laura war erstaunt, wie schnell Nella sich verraten hatte. Es lag wahrscheinlich an den Erlebnissen der letzten Nacht …
«Nein, er ist nicht tot, Nella. Er ist ziemlich verletzt, aber er wird es überstehen. Er hat Sie gesehen, Nella. Er glaubt zwar, dass es Valeria war, die vor ihm stand. Aber ich glaube, dass Sie es waren!»
Nella sah verwirrt aus, hatte jetzt offensichtlich ihren Fehler erkannt.
«Wir wollten ihn nur zur Rede stellen, Signora Commissaria. Wir wussten, dass er etwas mit Valerias Tod zu tun hat. Simonetta und ich wollten ihn nur fragen, warum er …» Sie bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen.
«Warum er was?», fragte Laura sanft.
«Valeria hat mir ihr Tagebuch geschickt und einen Brief. Aber als das hier ankam, war sie schon tot.» Nella schluchzte auf.
Laura dachte an das durchwühlte Zimmer Valerias. Das war es also, was der Unbekannte gesucht hatte. Das Tagebuch.
«Ihr wolltet ihn also nur etwas fragen, und dann, was geschah dann?»
«Er hat mich angegriffen. Simonetta war ja nur in der Nähe, um mir zu helfen, falls etwas schief gehen sollte. Er hat mich gewürgt, Signora. Simonetta hatte ein Messer …»
«Ja, ich weiß», erwiderte Laura leise. «Was geschah danach?»
«Wir sind weggelaufen und haben den nächsten Zug nach Trient genommen. Da stand mein Auto.»
«Ihr seid nicht zufällig in München geblieben, um die Ehefrau des Dottore Denner noch zu erschrecken und seinen Bruder auch?»
«Nein, Signora.» Nella schüttelte den Kopf, verzog das Gesicht vor Schmerz. «Ganz sicher nicht. Wir sind sofort zurückgefahren. Wir hatten große Angst.»
Laura ließ sich auf einen Stuhl fallen und massierte versichtig ihre Schulter.
«Weshalb habt ihr mich und meinen Kollegen eigentlich so wild angegriffen. Ihr habt mir Angst gemacht.»
«Wir dachten, dass Sie uns mitnehmen wollen. Aber wir würden niemals mitgehen … eher springen wir von den Klippen!» Nella warf ihr Haar zurück, zuckte dabei vor Schmerz zusammen. Jetzt sah Laura, dass sie ganz jung war – vermutlich nicht einmal zwanzig.
«Wie alt ist Simonetta?», fragte sie.
«Was?»
«Wie alt Simonetta ist?»
«Sechzehn.»
So alt wie Luca, dachte Laura. Zwei romantische Heldinnen. «Kannst du schwören, dass ihr beide sofort nach Italien zurückgefahren seid, nachdem Simonetta den Doktor niedergestochen hatte?»
«Aber sie wollte das nicht! Wirklich! Sie hat mich nur verteidigt! Er war … er war ein Schwein, Signora Commissaria!»
«Das ist durchaus möglich, Nella. Aber trotzdem hat niemand das Recht, einem anderen ein Messer in den Rücken zu stechen.»
Nella sprang auf. Sie war groß und kräftig. Mit funkelnden Augen stand sie jetzt vor Laura. «Wenn Sie Valerias Tagebuch kennen würden, würden Sie so etwas nicht sagen. Er hat es verdient, Commissaria!»
«Betrifft das die Cabun-Frauen und die Geschichte von Claretta?»
«Es betrifft alle Frauen, Commissaria. Alle!»
«Ich würde das Tagebuch gern sehen, Nella. Ich glaube nämlich nicht, dass Valeria Selbstmord begangen hat. Ich brauche Beweise oder wenigstens Hinweise. Doktor Denner streitet alles ab und seine Frau ebenso. Ich muss also wissen, was Valeria in dieser Familie erlebt hat.»
Noch immer stand Nella da wie eine Kämpferin, schien gar nicht zu hören, was Laura gesagt hatte.
«Werden Sie uns mitnehmen Signora?» Unter dem halb verrutschten Verband schienen ihre Augen übergroß zu sein.
«Wenn
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