Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
alles stimmt, was du mir sagst, werde ich euch nicht mitnehmen. Niemand wird euch mitnehmen, wenn ihr versprecht, keine Dummheiten zu machen und hier in Riomaggiore zu bleiben.»
«Sie glauben mir, Commissaria?» Plötzlich schwankte Nella, wäre gefallen, wenn Laura sie nicht aufgefangen hätte. Doch die junge Frau war so schwer und Lauras Schulter so geschwächt, dass sie den Zusammenbruch nur abmildern konnte und gemeinsam mit Nella zu Boden ging.
«Bleib liegen!», sagte Laura, als Nella sich aufrichten wollte. «Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.»
Nella schloss die Augen. «Mir ist schlecht», flüsterte sie.
«Bleib einfach ruhig liegen.» Laura strich vorsichtig die langen Haare aus Nellas Stirn und löste den Verband. Die Wunde an ihren Haaransatz war mindestens zehn Zentimeter lang, gezackt und blutete noch immer.
«Ist dir eigentlich klar, dass wir uns gegenseitig fast umgebracht hätten? Du kamst mir in der Dunkelheit vor wie ein Dämon mit übermenschlichen Kräften.» Laura wickelte den Verband wieder um Nellas Stirn.
«Wir hatten solche Angst», flüsterte die junge Frau, und Laura wunderte sich, wie sehr sie ihrer Cousine Valeria ähnelte.
«Ich werde Sergente Amato sagen, dass er einen Arzt rufen soll. Die Wunde muss genäht werden, Nella. Kannst du inzwischen darüber nachdenken, ob du mir Valerias Tagebuch geben möchtest?»
Die junge Frau stöhnte, ein paar Sekunden lang verharrte sie bewegungslos, die Augen fest geschlossen, dann streckte sie eine Hand aus. «Da drüben … da hängt meine Jacke. In der rechten Tasche steckt das Tagebuch. Sie können es nur haben, wenn Sie versprechen, dass ich es zurückbekomme.»
«Du bekommst es zurück, Nella. Ich danke dir.»
Laura nahm das kleine schwarze Büchlein in die Hand, spürte ihr Herz und ihre Schulter zur gleichen Zeit. Dann ging sie leise zur Tür und rief den jungen Carabiniere herein.
Mit frischen Croissants, einer Thermoskanne voll Kaffee und einer Flasche Orangensaft kehrte Laura zu Guerrini zurück. Er war wach, etwas blass, verkündete aber stolz, dass er es geschafft hatte, allein ins Badezimmer zu hüpfen. Irgendwie wirkte er ganz zufrieden, räkelte sich in den Kissen und schlürfte voll Genuss Kaffee aus dem Deckel der Thermoskanne. Laura erzählte ihm, was an diesem Morgen geschehen war.
«Wo hat Sarbia sie gefunden?», fragte er.
«Im Haus einer Tante.»
«Die natürlich auch dicht gehalten hat, nicht wahr? Eine erstaunliche Solidarität unter diesen Cabuns.»
«Mir gefällt das, obwohl es nicht in unsere Zeit passt. Es hat etwas Archaisches.» Laura griff nach der Verschlusskappe der Kanne und füllte sie erneut, trank langsam.
«Aber es ist eben auch anarchistisch – wir Italiener neigen dazu!» Guerrini lächelte. «Deshalb ist es bei uns so besonders schwierig, Polizist zu sein. Die meisten von uns haben diese Anlage, auch die Polizisten.»
Laura lachte leise. «Du bist in letzter Zeit so philosophisch … Woran liegt das?»
«Das ist auch eine italienische Eigenschaft, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest. Nicht nur die Deutschen sind große Philosophen … Bei uns ist die Philosophie allerdings etwas lebensnäher. Wie geht es übrigens deiner Schulter?»
«Mittelmäßig.»
«Darf ich sie mir ansehen?»
«Wenn du sehr behutsam mir ihr umgehst.» Laura knöpfte ihre Bluse auf. Als er ihr dabei half, aus dem Ärmel zu schlüpfen, unterdrückte sie nur mühsam einen Aufschrei.
«Sie ist dunkelblau und geschwollen! Hast du sie eigentlich dem Arzt gezeigt?»
«Nein.»
«Noch eine Heldin, was? Sie könnte gebrochen sein, Laura. Was seid ihr nur alle für verrückte Frauen?»
«Sag nicht ihr! Ich heiße nicht Cabun!»
«Du könntest aber so heißen! Vielleicht ist deine Mutter mit ihnen verwandt?»
Laura stand auf und ging ins Bad. Im Spiegel betrachtete sie ihre Schulter und musste Guerrini Recht geben. Schulter und Oberarm waren erschreckend blau und dick. Laura durchwühlte ihren Kulturbeutel und fand zum Glück das Gel gegen Prellungen, das sie meistens bei sich hatte. Sie legte die Tube in Guerrinis Hand.
«Bitte.»
«Das wird nicht ausreichen, Laura. Du musst zum Arzt!»
«Ja, später. Im Augenblick geht es nicht. Ich muss Valerias Tagebuch lesen.»
Guerrini schüttelte den Kopf und begann damit, Lauras Schulter und Arm mit dem kühlenden Gel zu bestreichen. Als er fertig war, zog sie ihre Stiefel aus und legte sich neben ihn.
«Eigentlich müsste ich schlafen. Aber
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