Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
eigenen Anteil an dieser Auseinandersetzung zu klären. «Eigentlich war es mein Satz, der Lucas Knopfdruck ausgelöst hat», sagte sie nachdenklich.
«Wieso?» Sofia runzelte die Stirn.
«Na ja, ich hab versucht, dir ein harmloses Bild deiner Gefährlichkeit zu geben. Und Luca hat gelacht, weil er sofort gemerkt hat, dass ich dich wie ein Kind behandele. Stimmt’s Luca?»
«Ich hab’s nicht böse gemeint. Ich konnte mir nur einfach nicht vorstellen, dass Sofi gefährlich sein könnte, und dann der Satz von dir … da musste ich lachen.»
«Genau! Und das bedeutet, dass wir beide Sofia nicht ernst genommen haben. Entschuldige, Sofi!»
Sofia schaute ein bisschen ratlos von Luca zu ihrer Mutter, lachte dann plötzlich und seufzte: «Meine Güte, ist das kompliziert!»
«Und du bist uns nicht mehr böse?», fragte Laura.
«Nein! War ja nur so ’ne Art Test!»
Laura lächelte ihrer Tochter zu und versuchte endlich die Pizza. Es bröselte zwischen ihren Zähnen, und sie hatte den unangenehm metallischen Geschmack von zu lange erhitztem Spinat auf der Zunge. «Ich glaube, ich nehm auch ein Salamibrot!», murmelte sie.
«Hab ich es mir doch gedacht», sagte Luca, während er ein Brot für sie abschnitt. «Übrigens: Da waren wahnsinnig viele Anrufe für dich auf dem Anrufbeantworter. Zweimal dein Chef, fünfmal Großvater und der Italiener, der öfter anruft!»
«Ach, du lieber Himmel!», lachte Laura. «Ich hatte den ganzen Tag mein Handy abgeschaltet, und bis auf eine Stunde im Büro war ich den ganzen Tag unterwegs. Deshalb hat mein Vater nicht angerufen! Und ich habe mir schon Sorgen gemacht!»
«Opa ist okay! Ich hab mit ihm geredet.» Sofia sah ihre Mutter an. «Kannst du mir mal sagen, wer dieser Angelo ist? Der hat hier schon ziemlich oft angerufen. Ist das ein Verwandter oder so was?»
«Er ist ein Kollege!», antwortete Laura leichthin. «Ein Freund und Kollege», fügte sie hinzu und nahm sich fest vor, ihren Kindern endlich von Angelo Guerrini zu erzählen, dem italienischen Commissario, den sie seit immerhin sechs Monaten liebte. Aber nicht an diesem Abend. Vielleicht morgen oder übermorgen. Jedenfalls irgendwann, wenn es sich ganz einfach ergab. So, wie gerade eben, aber gerade eben war nicht der richtige Zeitpunkt …
Feigling, dachte Laura. Jämmerlicher, erbärmlicher Feigling! Biss in das Salamibrot und spürte, dass ihr Glücksgefühl einen Kratzer bekommen hatte.
Am nächsten Tag fuhr Laura sofort in die Gerichtsmedizin. Sie hatte schlecht geschlafen. Die ganze Nacht über kreisten ihre Gedanken abwechselnd um die tote Valeria Cabun und um ihre eigene Unfähigkeit, den Kindern zu gestehen, dass sie jemanden liebte.
Die Autopsie der jungen Frau hatte nicht Lauras vertrauter Kollege Dr. Reiss durchgeführt, sondern ein junger Arzt, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.
«Malic!», stellte er sich vor und schüttelte lange Lauras Hand. «Jonas Malic. Ich bin noch in der Probezeit. Sie können mich Jonas nennen!»
«Gern», antwortete Laura ein wenig verwirrt. «Ich heiße Laura. Haben Sie schon Ergebnisse im Fall Cabun?»
Malic nickte, ging schnell vor Laura her in den Autopsieraum. Zögernd folgte sie ihm. Diesen Raum besuchte Laura so selten wie nur möglich, wusste, dass sie niemals Rechtsmedizinerin sein könnte, niemals die Leiber der Toten aufschneiden, sich täglich den Gerüchen des Todes aussetzen könnte, Lebern, Herzen, Gedärme, Gehirne begutachtend, das Zerstörungswerk von Messern, Kugeln, Gift, Schlägen und Stürzen analysierend.
Malic war vor einem der drei Operationstische stehen geblieben. Unter dem grünen Laken zeichneten sich deutlich die Umrisse eines Menschen ab. Der junge Arzt kniff die Lippen zusammen und zuckte ratlos mit den Schultern, dann wies er auf die anderen Tische. Auch dort lagen Leiber unter grünen Tüchern. «Viel zu tun», murmelte er. «Das da ist eine Schlägerei und das eine Wasserleiche. Dr. Reiss kommt gleich. Er übernimmt die Wasserleiche. Zum Glück, denn das sind die schlimmsten!» Er versuchte ein Lächeln und rieb sein rechtes Ohr. Sein Haar war sehr dunkel, seine Augen beinahe schwarz.
«Ja», murmelte Laura, «das kann ich mir vorstellen.»
«Sie quellen auf, müssen Sie wissen. Aber wem sage ich das, Sie sind ja länger im Geschäft als ich!»
«Ich hatte zum Glück nur selten mit Wasserleichen zu tun.»
«Soll ich sie Ihnen zeigen?» Er machte einen Schritt auf den rechten Tisch zu, streckte die Hand nach dem grünen
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