Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
hast du denn diese Erkenntnis?»
«Hat doch eine gewisse Logik! Außerdem haben wir in Sozialkunde gerade eine interessante amerikanische Untersuchung durchgenommen. Dabei kam raus, dass Leute, die dauernd Krimis im Fernsehen sehen, viel mehr Angst vor Verbrechern haben als andere. Die fühlen sich ständig bedroht und trauen keinem mehr. Das ist wie Gehirnwäsche, wirklich!»
Laura trank einen winzigen Schluck Rotwein. «Ich kenne die Untersuchung. Und ich finde sie sehr überzeugend. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass Polizeibeamte genauso reagieren.» Laura war so glücklich, bei ihren Kindern zu ein, dass sie Luca am liebsten umarmt hätte. Aber er hätte das nicht verstanden, es als mütterlichen Übergriff gedeutet. Er konnte ja nicht ahnen, wie sehr sie solche Diskussionen beim Abendessen liebte. Wie sehr sie ihn und Sofia liebte.
«Warum sollten Polizisten nicht so reagieren? Ich finde, dass die Wirklichkeit noch mehr Einfluss hat als das Fernsehen. Echte Verbrecher sind doch noch erschreckender als welche im Film!» Luca war ganz in seinem Element.
«Finde ich auch», sagte Sofia.
«Na ja, da muss ich Einspruch erheben. Ich finde, dass Verbrecher in Filmen oft viel erschreckender sind als in Wirklichkeit. Es gibt im wahren Leben nicht so viele Serienmörder und Geisteskranke wie in Filmen. Die meisten Mörder, die ich getroffen habe, sind irgendwie in die Tat reingerutscht, manchmal durch ganz blödsinnige Umstände.»
«Echt?» Sofia sah ihre Mutter zweifelnd an.
«Ja, echt! Ich denke, dass die meisten Menschen in sehr schwierigen Situationen zu Taten fähig sind, die sie sich nicht einmal selbst vorstellen können.»
Sofia starrte ihre Mutter an. «Glaubst du?»
«Glaub ich nicht nur, sondern weiß ich!»
«Ich auch?»
Laura unterdrückte ein Lächeln. «Du vermutlich auch. Aber das musst du selbst herausfinden, Sofia. Allerdings glaube ich nicht, dass du extrem gefährlich bist!»
Luca brach in Gelächter aus. Sofia drehte sich zornig zu ihm um. «Du bist manchmal richtig bescheuert!»
«Na hör mal …!»
«Das ist ganz typisch! Du nimmst mich überhaupt nicht ernst!» Röte stieg in Sofias Wangen, ihre Augen funkelten zornig.
«Darf ich euch unterbrechen», sagte Laura laut. «Ich möchte nämlich meine Pizza ohne Streit essen. Das war ein hervorragendes Beispiel, wie schnell Stimmungen umschlagen können und wie schnell jemand wütend werden kann. Könnt ihr euch vorstellen, dass manche Menschen andere so lange kränken, beleidigen, runtermachen, bis die völlig ausrasten?»
«Mann, das hat wirklich funktioniert, Mama!» Luca schob die angebissene Pizza auf seinem Teller herum.
«Na klar – es funktioniert fast immer, weil kaum jemand ein absolut eisernes Selbstbewusstsein hat. Und die mit dem geringsten Selbstbewusstsein werden meistens am schnellsten gewalttätig … entweder gegen sich selbst oder gegen andere.»
Luca stand auf und warf den Rest seiner Pizza in den Müll. «War das ’n Schnellkurs in Kriminalistik?», fragte er, schnitt ein Stück Brot ab, nahm Salami und Butter aus dem Kühlschrank.
«Ich hatte es nicht vor», erwiderte Laura. «Ergab sich einfach so. War das schlecht?»
Luca schüttelte den Kopf.
«Ich fand’s nicht gut», sagte Sofia und drehte eine Locke ihres langen Haars um einen Finger.
«Warum?» Laura nahm das verbrutzelte Pizzastück in die Hand. Sie hatte wirklich Hunger.
«Weil … weil ich mir blöd vorkam. Weil ich so schnell wütend wurde. Luca weiß genau, welchen Knopf er drücken muss!»
«Mach den Knopf doch einfach dicht, Sofi!», warf Luca ein. «Ich drück ihn ja nur, weil er funktioniert. Wenn du nicht wütend wirst, dann drück ich nicht mehr, kapiert?»
Fasziniert beobachtete Laura die Auseinandersetzung ihrer Kinder, fragte sich, ob sie über den Punkt des Ärgers hinaus zur Verständigung finden würden.
«Du bist ein richtig fieser Typ. Du versuchst meinen schwachen Punkt rauszukriegen!»
«Machst du das denn nicht? Lachst du nicht, wenn ich mir die Haare färbe? Und deine Bemerkungen, wenn meine Freundin anruft! Drückst du dann nicht auf meinen Knopf?»
Sofia senkte den Kopf. Inzwischen hatte sie die Locke so fest um ihren Finger gewickelt, dass dieser ganz weiß war, wie abgebunden. Laura wartete.
«Doch!», murmelte Sofia endlich. «Tut mir Leid.»
«Mir auch!», sagte Luca und steckte eine Scheibe Salami in seinen Mund.
Laura beobachtete die beiden noch immer, fand, dass es jetzt an der Zeit war, ihren
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