Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
Laura und lächelte dem Kleinen zu. Er hatte die welligen Haare seines Vaters und riesige Augen mit langen Wimpern.
«Das ist mein Sohn, Marcel!» Denner streckte die Hand nach dem Kind aus. «Marcel, geh in dein Zimmer!»
Marcel schüttelte den Kopf. «Wo is Vali?», fragte er.
«Sie ist nicht da!», flüsterte Renata Denner.
«Wo is sie denn?»
«In der Schule. Sie muss doch viel lernen!» Die Stimme seiner Mutter klang kraftlos.
«Wer is’n des?», fragte Marcel weiter und wies auf Laura.
«Eine Frau, die Valeria besuchen wollte …»
«Geh sofort in dein Zimmer, Marcel!» Dr. Denner packte seinen Sohn am Kragen und schob ihn die Treppe hinauf.
«Ich will aber nich, will nich, will nich!», brüllte Marcel. «Ich will zu Vali! Vali! Vali!»
Die Tür fiel zu, das Schreien des Kleinen wurde leiser, entfernte sich, verstummte.
«Entschuldigen Sie», flüsterte Renata Denner. «Er ist ein sehr lebhafter Junge, sehr eigensinnig! Braucht manchmal eine starke Hand.»
ES WAR halb zehn, als Laura endlich nach Hause kam. Sie fand ihre beiden Kinder Pizza essend in der Küche, laute Musik hörend und sich laut unterhaltend, winkte ihnen zu, während sie ihre Jacke auszog. Es roch sehr kräftig nach Knoblauch.
«Wir haben dir ’ne halbe Spinatpizza aufgehoben!», rief Sofia. «Hast du Hunger?»
«Ja, ich habe Hunger!», schrie Laura zurück, mühsam die Musik übertönend. «Bin gleich da, muss nur schnell Hände waschen.»
Im Badezimmer kühlte sie ihr Gesicht mit Wasser, betrachtete sich dann prüfend im Spiegel, war zufrieden mit sich, denn trotz des anstrengenden Tages sah sie nicht besonders müde aus. Die Auseinandersetzung mit den Denners hatte sie in Schwung gebracht. Falls diese unangenehmen Zeitgenossen Valeria Cabun in den Selbstmord getrieben hatten, würde sie es herausfinden. Und sie würde einen Weg finden, die beiden zur Verantwortung zu ziehen.
Laura bürstete ihr Haar, ordnete dann mit allen zehn Fingern die Locken, schaute sich dabei selbst in die Augen. «Manchmal bist du rachsüchtig, nicht wahr? Woher hast du das nur?», sagte sie zu ihrem Spiegelbild. «Na, das weißt du doch ganz genau», gab sie sich selbst die Antwort, «von deinem Vater, diesem Sinnbild des Rächers der Enterbten! Den du schon wieder seit vier Tagen nicht besucht hast – immerhin hat er in dieser Zeit mindestens zehnmal angerufen!» Sie zwinkerte sich zu und knipste das Licht aus. Aber heute hat er noch nicht angerufen, dachte sie. Weshalb hat er heute noch nicht angerufen?
Die Musik in der Küche war wirklich ungeheuer laut, und es war Musik, die Laura nicht besonders leiden konnte. Irgendein monotoner Hip-Hop.
«Hallo», rief sie, um den Lärm zu übertönen. «Wäre es möglich, die Musik etwas leiser zu machen?»
Sofia und Luca sahen sie erstaunt an, als bemerkten sie erst jetzt, dass sie überhaupt Musik hörten, und Laura kam sich wie ein Eindringling vor.
«Tut mir Leid, meine Lieben, aber ich hatte einen ziemlich langen Tag, und ein bisschen Ruhe beim Essen wäre nicht schlecht», sagte sie. «Bin eben nicht mehr sechzehn.»
Luca stellte das Radio leiser und lachte. «Macht doch nichts, Mama. Bist auch so ganz in Ordnung!»
«Danke!» Laura ließ sich auf einen Stuhl fallen und schaute ihre Kinder erwartungsvoll an. «Also, wo sind die Pizza, der Salat, der Wein, das Wasser?»
«Kommt sofort», grinste Luca. Er öffnete die Herdklappe und legte eine halbe, etwas eingetrocknete Pizza auf Lauras Teller, betrachtete sie zweifelnd. «Meinst du, die kann man noch essen?»
«Klar», erwiderte Laura.
«Ich könnte dir auch ein Salamibrot machen …»
«Nett von dir, aber es geht wirklich!»
Luca schien noch nicht überzeugt, doch er setzte sich und schob Laura die Salatschüssel hin, während Sofia ihrer Mutter ein Glas Rotwein einschenkte.
«Danke, Sofi!» Laura beugte sich vor und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange. «Wisst ihr eigentlich, dass es unheimlich schön ist, bei euch zu sitzen und zu wissen, dass es euch gut geht?»
«Stimmt irgendwas nicht? Ich meine, das ist doch eigentlich ganz normal, oder?», erwiderte Sofia und biss ein Stück von ihrer Pizza ab.
«Manchmal hab ich das Gefühl, es ist überhaupt nicht normal», murmelte Laura.
«Das liegt an deinem Beruf, Mama. Wenn man dauernd mit Mördern zu tun hat, dann denkt man am Ende, dass Mörder normal sind und die normalen Leute die Ausnahme», Luca grinste.
«Oh!», machte Laura und ließ ihre Pizza sinken. «Woher
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