Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
sag ihm, dass er unbedingt diesen Bericht abholen muss, den ich im Schweiße meines Angesichts endlich geschrieben habe. Er muss ihn noch heute Abend durcharbeiten.»
«Ich werd’s ausrichten.» Claudia streckte die Hand nach der Mappe aus, die Laura unterm Arm trug.
«Sorg dafür, dass niemand außer Peter das hier in die Finger kriegt. Es ist noch nicht fertig und deshalb Geheimsache!» Laura fiel auf, dass Claudia müde aussah. «Geht’s dir nicht gut?»
«Hab letzte Nacht kaum geschlafen! Meine Kleine ist krank. Sie hatte solche Ohrenschmerzen, dass nicht mal Zäpfchen geholfen haben.»
«Und wer ist jetzt bei ihr?», fragte Laura.
Claudia lächelte ein wenig schief und zog die Nase kraus.
«Der Vater natürlich. Ab und zu ist er ganz nützlich.»
Laura sah die Dezernatssekretärin nachdenklich an. Dass Claudia allein erziehende Mutter war, wusste sie, vergaß es aber manchmal, weil Claudia nur selten darüber sprach.
«Willst du nach Hause gehen? Peter kann sich den Bericht auch bei mir abholen. Ich möchte ihn nur nicht offen hier im Dezernat herumliegen lassen.»
«Lass nur! Ich bleibe bis sechs. Ich bin heute später gekommen und habe prompt einen Anschiss vom Chef gekriegt.»
Laura hob die Augen zur Decke. «Vergiss ihn doch! Dein Kind ist wichtiger als ein Anschiss von Becker!»
Ein trotziger Zug legte sich um Claudias Mund, sie schüttelte ihre kurzen hellbraunen Locken. «Ich will keine Extras, weil ich ein Kind habe! Weißt du, was dann passiert? Erst fühlen sich alle ganz toll und großzügig und so – aber dann wird’s ihnen zu viel. Wieso ist die nie da, heißt es dann, auch wenn’s gar nicht stimmt! Und irgendwann kommt’s ganz dick: Mütter mit kleinen Kindern kann man eigentlich nicht einstellen. Die halten den ganzen Betrieb auf, die nützen es aus, dass sie kleine Kinder haben. Wollen das Geld, aber leisten nichts – und so weiter!» Claudia sprach leise und zornig vor sich hin, als gelte ihre Ansprache gar nicht Laura, sondern irgendeinem abwesenden Vorgesetzten.
«Hast ja Recht», murmelte Laura. «Becker hält mir meine Kinder auch bis heute vor. Dabei sind sie schon beinahe erwachsen. Aber du weißt hoffentlich, dass du auf mich und Baumann zählen kannst, falls es Schwierigkeiten gibt!»
«Danke, das ist nett! Der Chef hat schon ein paar Mal von einer Verschwörung der Alleinerziehenden und Junggesellen gesprochen. Deshalb weiß ich gar nicht, ob das so hilfreich ist!»
«Lass ihn doch reden. Du machst deine Arbeit richtig gut. Ich wette, dass er vor allem deshalb ab und zu auf dir rumhackt, weil du keinen Respekt gegenüber den Gesetzen der Hierarchie zeigst», lächelte Laura.
«Ach du lieber Gott! Mach’s doch nicht noch komplizierter», stöhnte Claudia.
«Es geht nicht um kompliziert, sondern um klar», erwiderte Laura. «Wenn du ein armes hilfesuchendes verlassenes Hascherl wärst, dann könnte unser großzügiger Chef seine schützende Hand über dir ausbreiten. Vielleicht würde er dich sogar zum Essen einladen und ein bisschen an dir herumtatschen. Dann dürftest du bestimmt jeden zweiten Tag zu spät kommen.»
«Du meinst also, ich mache alles falsch!?»
«Nein! Du machst alles goldrichtig», lachte Laura. «Deshalb mögen wir dich ja so! Und wenn du morgen einen freien Tag brauchst, dann nimm ihn dir, verdammt nochmal! Deine Kleine wird viel schneller gesund, wenn du Zeit für sie hast!»
Claudia senkte den Kopf. «Ich werd mir’s überlegen», sagte sie leise. «Eigentlich stehen mir sogar noch freie Tage zu, ich meine solche für Pflege und so. Aber ich hab mich irgendwie nicht getraut, sie zu nehmen.»
«Wieso denn nicht?»
Claudia zuckte die Achseln und strich beinahe verlegen mit der flachen Hand über ihren Schreibtisch. «Du weißt doch, wie schnell man heute entlassen wird. Ich mag die Arbeit im Dezernat, und das Geld reicht für mich und Jule. Ich kann es mir nicht leisten, den Job zu riskieren!»
Laura antwortete nicht sofort, versuchte stattdessen herauszufinden, wann Claudia sich verändert hatte, wann sie vorsichtiger geworden war. Vor einem Jahr hätte die Sekretärin so etwas nicht gesagt. Sie war stets kämpferisch gewesen, wusste genau um ihre Rechte – erfüllte allerdings auch ihre Pflichten. Und sie ließ sich nicht herumkommandieren – hatte Kriminaloberrat Becker immer wieder Grenzen gesetzt.
«Seit wann hast du Angst, Claudia?», fragte Laura endlich.
Die junge Frau atmete tief ein, schluckte. «Es ist keine richtige
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