Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
höchstens Ende zwanzig, trug ihr blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Ihre Züge waren weich, die Lippen sehr voll. Als Marion Lehmann sich zurückzog, verschränkte sie die Arme vor der Brust und musterte Laura mit durchdringendem Blick.
«Mein Name ist Beate Weller. Sie ermitteln in einem Mordfall, nicht wahr?»
Laura schüttelte den Kopf. «Nein, so eindeutig ist die Angelegenheit nicht, Frau Weller. Bisher sieht es eher nach Selbstmord aus. Aber ich bin mir nicht sicher. Deshalb bin ich auf jede Information angewiesen. Welchen Eindruck hatten Sie von Valeria?»
«Sie war klasse! Ich konnte richtig spüren, dass sie etwas wollte, irgendein inneres Ziel hatte. Ich weiß nicht, was es war, aber sie hatte eine Antriebskraft, die unglaublich war. Ihre Motivation, Deutsch zu lernen, war so groß, dass sie den ganzen Kurs mitgezogen hat.»
«Und Sie haben wirklich keine Ahnung, woher diese Motivation kam? Hat sie nie über ein Ziel gesprochen – beruflich oder privat? Hatte sie vielleicht einen deutschen Freund?»
«Nein, ich glaube nicht. Ich weiß nichts von einem Freund. Nur einmal hat sie bei einem mehr privaten Treffen gesagt, dass sie gern nach Afrika gehen würde, um in einer Organisation für humanitäre Hilfe zu arbeiten … Ach, ich kann es einfach nicht fassen. Es ist so sinnlos! Sie war großartig! Ich kann es einfach nicht glauben!»
Afrika, dachte Laura. Wenn man von der ligurischen Küste immer geradeaus mit dem Schiff fährt, kommt man nach Afrika. Hinter den Dörfern stehen nur die Berge, wie eine Mauer.
Sie dankte der Lehrerin, wartete auf die jungen Frauen. Eine nach der anderen kamen sie zu ihr in die Teeküche – manche mit Tränen in den Augen, alle sehr schüchtern, beinahe ängstlich. Die Verständigung war etwas mühsam – bei zweien musste Laura ins Englische ausweichen. Die Gespräche ergaben nicht viel. Nur, dass alle Valeria mochten, dass sie freundlich und hilfsbereit war. Nicht unbedingt fröhlich, eher ernst. Aber sie lachte auch gern. Valerias Bild nahm in Lauras Vorstellung immer verschwommenere Züge an.
Sie fühlte sich erschöpft, als endlich die letzte Sprachschülerin zu ihr in die Teeküche kam, eine junge Spanierin mit hartem Akzent, die sich aber bereits gut in der deutschen Sprache ausdrücken konnte.
«Wir haben zusammen gelernt. Wir waren beinahe Freundinnen.»
«Beinahe?»
«Ja. Es dauert doch, oder?»
«Was?»
«Bis man andere gut kennt.»
«Ja, das dauert.»
«Ich heiße Rosaria und bin sehr traurig. Weiß Roberto schon?»
«Wer?»
«Roberto Malenge. Er ist Valerias Freund. Das weiß sonst niemand.»
«Wo finde ich diesen Roberto Malenge?» Laura beugte sich gespannt vor, doch Rosalias Augen verschlossen sich.
«Ich weiß es nicht. Wir waren nur zweimal zusammen abends in einer Disko. Valeria, Roberto und ich.»
«Ist Roberto Malenge Afrikaner?»
Rosalia senkte den Kopf und nickte kaum merklich.
DIE SPURENSICHERUNG hatte keine besonderen Hinweise in Valerias Zimmer finden können. Keine Fingerabdrücke, die nicht von Valeria selbst oder eindeutig von einem der kleinen Kinder stammten.
«Das bedeutet natürlich nicht, dass niemand dieses Zimmer durchsucht hat. Der Niemand kann Handschuhe getragen haben», sagte Andreas Havel und machte ein unzufriedenes Gesicht. Er saß mit Laura und Baumann an dem kleinen Tisch im Dezernatsbüro, eingerahmt von einem Ficus Benjamini und einer Yuccapalme.
«Und was denkst du – abgesehen von den Beweisen, die du nicht hast?», fragte Laura.
«Ich denke, was denke ich denn?» Er lachte verlegen auf.
«Na, was denkst du denn?», fragte Kommissar Baumann mit höchst ironischem Unterton.
«Ich denke, dass all das noch überhaupt nichts beweist. Im Gegenteil! Ich finde es sehr merkwürdig, dass weder am so genannten Tatort noch in dem Zimmer des Opfers irgendwelche Spuren zu finden sind. Mir ist die ganze Angelegenheit zu clean, wenn ihr wisst, was ich meine!»
«Hast du den Eindruck, dass Valeria Cabuns Zimmer durchsucht wurde, oder war sie einfach ein unordentlicher Mensch?»
«Es ist verdammt schwierig, denn mein Eindruck lenkt die Ermittlung in eine bestimmte Richtung. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich es nicht weiß. Wenn ich allerdings meiner Intuition folge, würde ich sagen: Da hat jemand etwas gesucht. Ob das allerdings Valeria selbst oder ein anderer war, das ist völlig unklar.»
«Meine Güte!», stöhnte Laura. «Ich habe selten eine klarere Aussage gehört. Danke, Andreas, du
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