Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
steigen dann aus!»
Es dauerte dreieinhalb Minuten, ehe die alten Männer sich entschlossen, ein Stückchen weiterzugehen. Dabei ließen sie allerdings Laura und Baumann nicht aus den Augen, lehnten sich endlich mit dem Rücken an das Schaufenster einer Boutique und starrten weiter in ihre Richtung.
«Mann!», stöhnte Peter Baumann. «Ich geh jetzt hin und halte denen meinen Ausweis unter die Nase!»
«Lass sie doch!» Laura öffnete die Beifahrertür. «Es macht ihnen Spaß, uns zu beobachten. Sie halten uns für verdächtig. Das tut ihnen gut – endlich passiert etwas!»
Langsam stieg Laura aus, setzte eine große Sonnenbrille auf und schlug den Kragen ihrer Lederjacke hoch. Die beiden Alten reckten die Köpfe. Da öffnete Laura kurz ihre Jacke und rückte die Pistole in ihrem Schulterhalfter so auffällig zurecht, dass die alten Männer sie sehen mussten. Laura lächelte Peter Baumann zu und überquerte gemeinsam mit ihm die Schellingstraße. Die beiden Alten blieben mit offenen Mündern zurück.
«Die sind garantiert noch da, wenn wir wieder zurückkommen. Vielleicht rufen sie sogar die Bullen!» Baumann drehte sich nach den beiden um.
«Wär doch ganz lustig, du Bulle!», entgegnete Laura. «Welches Haus ist es?»
«Das hässliche da mit den vielen Fahrrädern davor.»
Die Wohngemeinschaft von Roberto Malenge war in einem der Mietshäuser untergebracht, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Trümmern der Bombenangriffe hochgezogen worden waren. Hässliche Wohnblöcke mit zu kleinen Fenstern und graubraunem Anstrich. Das hier war inzwischen mit hellgrüner Farbe aufgepeppt worden, wirkte trotzdem ärmlich. Laura kannte diese Häuser. Wände und Böden waren so schlecht isoliert, dass man jeden Laut aus den Nachbarwohnungen hörte. Sie selbst hatte während ihres Studiums einige Zeit in so einem Haus gewohnt – ebenfalls in einer WG. Lernen war nur mit Hilfe von Ohropax möglich gewesen.
Als Laura und Baumann den engen Flur betraten, kam ihnen ein junger Afrikaner entgegen, der einen knallroten Schal um seinen Hals geschlungen hatte. Er trug einen Instrumentenkoffer unterm Arm und schien es eilig zu haben.
«Entschuldigen Sie!» Laura verstellte ihm halb den Weg.
«Ja?» Seine Stimme war sehr tief.
«Sie sind nicht zufällig Roberto Malenge?»
Er schüttelte den Kopf, kleine Ringe blitzten an seinem rechten Ohr.
«Roberto ist oben.»
«Danke.»
Er ging weiter, drehte sich aber nach drei Schritten um.
«Was wollen Sie denn von ihm?» Sein Deutsch war sehr gut. Einzig ein leichter französischer Akzent zeigte an, dass es nicht seine Muttersprache war.
«Wir haben eine Nachricht für ihn.»
Der junge Mann runzelte die Stirn. «Was denn für ’ne Nachricht?»
«Das kann ich Ihnen nicht sagen», erwiderte Laura. «Die Nachricht ist nur für Roberto Malenge bestimmt.»
Der junge Afrikaner kam zurück, drückte auf den Lichtschalter und betrachtete Laura und Peter Baumann aus leicht zusammengekniffenen Augen.
«Polizei … oder?»
Laura fragte sich, woran er das erkennen konnte. Sie selbst war angezogen wie tausend andere Frauen auch, Baumann war ein ausgesprochen lockerer Typ. Hatten sie beide tatsächlich diese Aura um sich?
«Sehen wir so aus?», fragte sie deshalb zurück.
Er lachte plötzlich, kräftige weiße Zähne blitzten in seinem dunklen Gesicht.
«Ich weiß es nicht! Es ist mehr ein Erfahrungswert! Zwei weiße Leute, die ich noch nie hier gesehen habe, die weder mich noch Roberto kennen, können eigentlich nur von der Polizei sein.»
«Was studieren Sie?», fragte Baumann.
«Medizin, genau wie Roberto. Warum?»
«Ich dachte Mathematik, weil Sie so wahnsinnig logisch denken können!», grinste Baumann.
«Logisches Denken nützt immer, nicht wahr?» Das Lächeln des jungen Mannes war verschwunden. «Ich denke, ich komme besser mit nach oben, falls Roberto meine Unterstützung braucht! Dritter Stock, rechts!»
Schweigend machten sie sich an den Aufstieg. Die Treppe war schmal, das Holz abgetreten, zeigte nur am Rand noch Spuren der einstigen Versiegelung. Ein leichter Geruch nach zu heißem Bratenfett schien aus der Wohnung links im zweiten Stock zu kommen. Geräusche von überall her – Musik, Stimmen, Geschirrklappern, ein weinendes Baby. Im dritten Stock blieben sie vor der rechten Wohnungstür stehen. Baumann sah den jungen Afrikaner fragend an, der schüttelte den Kopf.
«Besser, Sie klingeln. Ich möchte nicht als Türöffner auftreten, als wäre ich einer von
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