Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
weiße Wände, deren einziger Schmuck in einigen Jugendstil-Stuckaturen bestand, sanftes Licht, wenige Akzente durch große Grünpflanzen. Die Frauen verschwanden in Zimmern, die links und rechts von dem langen weiten Flur abgingen – offensichtlich handelte es sich um Unterrichtsräume. Lauras Blick wurde von einem bunten Frühlingsstrauß gefangen, der von einem kleinen Scheinwerfer angestrahlt wurde. Leise Musik kam von irgendwoher, und es roch gut – nach Lavendel und Rosmarin.
Laura trat in einen Seitenraum, über dessen Tür «Anmeldung-Sekretariat» stand, fand einen breiten Schreibtisch, einen riesigen roten Tulpenstrauß und dahinter eine Frau in mittleren Jahren, die jene fortschrittlich-unauffällige Eleganz ausstrahlte, die in gewissen Frauengruppen gepflegt wurde. Sie trug einen langen Rock aus Naturleinen, darüber einen lockeren Baumwollpullover, beides hellgrau Ton in Ton. Ihre Halskette aus dicken roten Kugeln war mit Sicherheit aus einem Dritte-Welt-Laden und ihre Schuhe – Laura reckte den Hals ein wenig, um an der Schreibtischkante vorbeizuschauen – natürlich, die Schuhe waren sehr bequem, der Form des Fußes angepasst und doch von einer Schlichtheit, die auf einen Designer schließen ließ. Die kurzen grauen Haare gut geschnitten – kein billiger Friseur, dachte Laura. Das Make-up sehr dezent, kaum erkennbar, betonte vor allem die Augen. Sie war eine attraktive Frau, eine, die einem Frauenmagazin für die Frau ab vierzig entsprungen sein konnte. Und Laura war trotz aller Aufmerksamkeit für einen Augenblick abgelenkt, denn sie fragte sich, wie manche Frauen es schafften, so auszusehen, wie sie aussahen.
Sie selbst schaffte es nie, kaufte ihre Garderobe meist im Vorübergehen: Jeans, Blusen, knappe Pullover, Lederjacken, selten einen Rock. Na ja, sie leitete auch keine Sprachenschule, sondern versuchte Verbrechen aufzuklären.
Jetzt lächelte die Frau, streckte ihr eine Hand entgegen. «Ich bin Marion Lehmann, Sekretärin, Organisatorin und Lehrerin. Was kann ich für Sie tun? Sprechen Sie Deutsch?»
Laura lächelte, nickte. «Laura Gottberg. Jaja, ich spreche Deutsch. Ich will auch keine Sprache erlernen, sondern möchte Sie um einige Auskünfte bitten.» Sie legte ihren Dienstausweis auf den Schreibtisch. Marion Lehmann griff nach ihrer Lesebrille, einem kaum sichtbaren Gebilde mit halben Gläsern, und studierte Lauras Ausweis.
«Kriminalpolizei?», sagte sie dann sehr langsam und erstaunt. «Ich wüsste nicht, was unser Institut mit der Polizei zu tun haben könnte.»
«Es geht auch nicht um Ihr Institut, sondern um eine Ihrer Schülerinnen: um Valeria Cabun. Sie ist doch Schülerin bei Ihnen?»
Marion Lehmann nickte, reichte Laura den Ausweis zurück. «Sie ist sehr begabt, diese Valeria. Das jedenfalls sagt ihre Deutschlehrerin. Was ist mit ihr?»
«Es ist keine gute Nachricht, die ich Ihnen bringen muss», antwortete Laura langsam. «Valeria Cabun ist tot.»
Die grauhaarige Frau erstarrte, fasste dann mit einer Hand nach ihrer Halskette, mit der andern hielt sie sich am Schreibtisch fest.
«Oh mein Gott, wie schrecklich! Hatte sie einen Unfall? Gestern ist sie nicht zum Unterricht erschienen, aber das kann vorkommen. Heute habe ich noch nicht nachgesehen. Die Kurse beginnen in diesen Minuten. Nein, sie kann nicht tot sein. Ich glaube das nicht.»
Laura wartete, bis Marion Lehmann sich ein wenig gefangen hatte. «Ich kann Ihnen nicht genau sagen, ob es ein Unfall oder Selbstmord war.» Die Möglichkeit eines Verbrechens sprach Laura nicht aus, war vertraut mit der plötzlichen Veränderung im Verhalten von Menschen, wenn sie mit Mord konfrontiert wurden. Wusste, wie vorsichtig sie ihre Aussagen formulierten, wie schnell sie andere belasteten, um von eigenen Verwicklungen abzulenken. «Ich brauche einige Auskünfte von Ihnen, Frau Lehmann. Vielleicht können Sie mir ein wenig über Valerias Mitstudentinnen erzählen, vielleicht ist sie zufällig von einem Mann hier abgeholt worden. All diese Dinge sind von Bedeutung.»
Marion Lehmann setzte sich in ihren schwarzen Ledersessel, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief durch.
«Gut!», sagte sie schließlich, machte die Augen wieder auf und sah Laura an. «Valeria ist in einer besonders netten Klasse. Wir haben nur kleine Gruppen. Ihre umfasst sieben Studentinnen.» Sie hielt inne, schien sich bewusst zu werden, dass sie in der Gegenwart sprach.
«Ich würde mich gern mit diesen Studentinnen unterhalten. Sind sie im
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