Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
ist. Muss sie sehen. Wenn ich sie nicht sehe, dann glaube ich nicht, dass sie fort ist. Bitte, bringen Sie mich zu ihr, bitte!»
«Ja», sagte Baumann mit seltsam entschlossenem Ton. «Ich werde Sie hinbringen. Jetzt gleich. Ich kann das verstehen. In Ordnung, Laura?»
Laura nickte. Als die beiden sich auf den Weg machten, bat sie Aristide herein und fand es gut, dass sie allein mit ihm war.
SPÄTER, AUF dem Heimweg, dachte Laura darüber nach, wie schön es wäre, wenn man Menschen einfach glauben könnte, und sie fragte sich, ob ihr Beruf doch schädlich für den Charakter war. Sowohl Aristide als auch Roberto Malenge erschienen ihr sehr glaubwürdig. Erschrockene Menschen, die einen großen Verlust erlitten hatten. Aber sie selbst war berufsmäßig dazu verpflichtet, ihnen zu misstrauen, und es wäre ja durchaus möglich, dass Robertos leidenschaftliche Löwin nicht nur ihn, sondern auch andere gemocht hatte. Dass Roberto eifersüchtig war, emotional, unkontrolliert, gewalttätig – es gab Hunderte solcher Fälle. Tötungsdelikt im Affekt. Taten, die nicht einmal beabsichtigt waren, einfach so geschahen. Und doch fühlte Laura eine gewisse Spannung, ja Neugier. Diese Geschichte war nicht zu Ende, das spürte sie genau. Sie würde sich weiterentwickeln und sie alle in Atem halten. Genau das war es ja, was sie nach wie vor an ihrem Beruf faszinierte.
Die verzerrte Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter wurde inzwischen von den Technikern ausgewertet. Vielleicht konnten sie morgen dem anonymen Anrufer ein bisschen näher rücken.
Vor der Isarbrücke staute sich der Verkehr. Laura empfand diese Verzögerung als angenehm, lehnte sich in ihren Sitz zurück und streckte die Beine aus. Kein Grund zur Eile. Für eine berufstätige Mutter war sie ziemlich früh dran – erst kurz vor sechs! Was würde sie kochen? Spinatpfannkuchen und Tomatensalat! Alle Zutaten waren vorhanden, und es ging ziemlich schnell. Sie ließ den Wagen ein Stückchen weiterrollen, dachte an ihre Kinder und freute sich auf sie. Dachte, wie froh sie darüber war, dass ihr Handy nicht klingelte, hätte es lieber nicht gedacht, denn natürlich klingelte es in diesem Augenblick.
Es war Luca. Und er klang nicht gut.
«Mama! Du musst ganz schnell nach Hause kommen. Bei unseren türkischen Nachbarn stimmt was nicht. Ülivia schreit. Ich hab schon geklingelt, aber sie machen nicht auf. Ich weiß nicht, was ich tun soll!»
«Wo ist Sofia?»
«Sie hat totale Angst. Sie will die Tür der Özmers einschlagen! Und sie hat Papa angerufen, weil wir dich im Büro nicht erreicht haben!»
«Papa?»
«Ja, er ist auch schon auf dem Weg hierher. Aber er wird mindestens eine halbe Stunde brauchen!»
«Okay, Luca. Ich bin gleich da! Klingle einfach weiter an der Tür, dann wissen die, dass jemand aufpasst! Das ist wichtig, Luca! Hast du verstanden?»
«Ja, Mama! Beeil dich!»
«Natürlich. Bis gleich.»
Laura zog das mobile Blaulicht unter ihrem Sitz hervor, steckte es aufs Dach und schaltete ihr Martinshorn ein, das allerdings ein wenig jaulend und schwach klang. Trotzdem arbeitete sie sich erfolgreich am Stau entlang zur Kreuzung vor der Isar, stoppte den Verkehr, war schon auf der Brücke und vier Minuten später vor der Haustür, parkte halb auf dem Gehweg und begann die 86 Stufen zu ihrer Wohnung hinaufzulaufen. Bereits im Parterre hörte sie das Klingeln einer Türglocke und war stolz auf Luca.
Laura ahnte, was geschehen war. Sie hatte die jüngste Tochter der türkischen Nachbarn in letzter Zeit zweimal mit einem jungen bärtigen Mann gesehen. Ganz zufällig: das erste Mal auf einem S-Bahnhof. Ülivia, so hieß die Tochter, war schneeweiß im Gesicht geworden, regelrecht erstarrt. Am nächsten Abend hatte Laura bei ihren Nachbarn geklingelt und Ülivia kurz zu sich in die Wohnung geholt, ihr gesagt, dass sie keine Angst haben müsse. Sie, Laura, würde niemandem von dem jungen Mann erzählen. Sie erinnerte sich genau an Ülivias erschrockene Augen, ihr Flehen. «Bitte, bitte! Nix sagen! Bitte, Papa und Mama so böse werden!»
Laura hatte das Mädchen gewarnt, es ermahnt, vorsichtiger zu sein. Wenn sie sich so öffentlich mit einem Freund traf, konnte auch ein Verwandter oder Bekannter sie sehen. Vermutlich war genau das inzwischen geschehen.
Außer Atem kam sie endlich in vierten Stock an, fand Luca vor der Wohnungstür der Nachbarn, ein bisschen blass, aber sehr entschlossen.
«Du musst sie da rausholen, Mama», sagte er. «Ich hab keine Ahnung,
Weitere Kostenlose Bücher