Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
Staatsexamen.»
«Ich verstehe. Würden Sie bitte trotzdem erzählen, wann Sie Valeria kennen gelernt haben …»
Er wehrte sich dagegen, nicht verbal, sondern körperlich, lehnte sich weg von ihr, verspannte sich. Laura kam es vor, als wehre er sich gegen die Erinnerung, weil sein Schmerz so groß war. Oder war er ein großartiger Schauspieler? Oder lag es an diesem Anderssein? Diesem viel direkteren Ausdruck von Gefühlen, der Weißen eher peinlich war, denn sie verklemmten und verkniffen sich meist, was sie empfanden.
Sie wandte die Augen ab, strich über ihren Schreibtisch, wechselte einen kurzen Blick mit Baumann, der ungewohnt ernst aussah. Dann lauschten sie beide den Worten des jungen Mannes, der beinahe schon Arzt war. Er erzählte von einem einsamen Spaziergang im Englischen Garten, im Schnee und wie er diesen Schnee noch immer wie ein Wunder empfand, obwohl er ihn nun schon seit Jahren kennt. Und da war diese junge Frau, die ebenfalls den Schnee betastete, hochwarf, ausprobierte – wie ein Kind eben, das sich zum ersten Mal über gefrorenen Regen freut. Dann hatten sie gemeinsam gelacht und sich erzählt, dass Schnee etwas ganz Besonderes für sie sei. Danach haben sie sich immer wieder getroffen – zu Spaziergängen, in Cafés, in der afrikanischen Stammkneipe. Irgendwann war es mehr geworden, eine wilde, leidenschaftliche Liebe. Und sie wurde zu seiner Löwin, denn sie war stark und kämpferisch.
Als Roberto Malenge geendet hatte, blieb es lange Zeit still im Raum. Laura musste sich zwingen, eine neue Frage zu stellen.
«Hat Valeria etwas über die Familie erzählt, für die sie hier arbeitete?» Ihre Stimme kam ihr irgendwie zu hoch vor, nachdem Malenge so lange mit seinem heiseren Bass gesprochen hatte.
«Sie war nicht glücklich dort! Keine gute Familie. Valeria mochte die Kinder, hatte Mitleid mit ihnen. Das Ehepaar hat oft gestritten. Die Frau war sehr streng mit Valeria. Das ist alles, was ich weiß.» Roberto machte eine vage, entschuldigende Bewegung.
«Was hat sie über den Mann gesagt? Diesen Dr. Denner?», fragte Laura.
«Valeria mochte ihn nicht. Einmal sagte sie, dass sie immer gedacht hätte, Machos gäbe es nur in Italien. Aber Dr. Denner sei ein typischer Macho gewesen – ein deutscher, einer, den man nicht sofort erkennt. Und dann hat sie gelacht. Seinen Bruder mochte sie auch nicht. Sie sagte, dass er sie immer so komisch anstarren würde. Aber ich selbst kenne die Leute nicht …»
«Gut!» Laura rutschte von ihrer Schreibtischkante und ging zum Fenster. «Ich möchte Ihnen sagen, warum wir Sie noch einmal so ausführlich befragen, Herr Malenge. Es gab einen anonymen Anruf, und der Anrufer hat Sie indirekt beschuldigt. Ich werde Ihnen diesen Anruf jetzt vorspielen. Hören Sie genau zu – vielleicht erkennen Sie die Stimme.»
Sie beobachtete den jungen Afrikaner, konnte aber nicht beurteilen, was sein Gesicht in diesem Augenblick ausdrückte – es war eine Mischung aus Erschrecken, Zorn, Verwirrung. Er wollte etwas sagen, doch Laura hob die Hand. «Hören Sie erst!»
Sie drückte auf den Wiedergabeknopf. Die verzerrte Stimme füllte den Raum, lauter, als Laura sie in Erinnerung hatte. Laura sah Schweißperlen auf Roberto Malenges Stirn, spielte die Nachricht noch einmal ab. Dann war es still. So still, dass wohl jeder von ihnen die Atemzüge der anderen und die eigenen als zu laut empfand.
Malenge saß ganz ruhig, hielt die Augen geschlossen, leicht zusammengekniffen, als litte er Schmerzen. Endlich schüttelte er den Kopf.
«Ich kenne diese Stimme nicht. Und ich war nicht mit Valeria zusammen.»
«Können Sie sich vorstellen, dass Valeria mit einem anderen Afrikaner zusammen war?» Peter Baumann hatte inzwischen seine beiden Fäuste so tief in den Taschen seiner Jeans vergraben, dass ein Stückchen Haut zwischen Hosenbund und T-Shirt sichtbar wurde.
«Nein», antwortete Malenge heftig.
«Überhaupt nicht?» Baumann gab nicht auf.
«Nein, nein, nein!» Roberto Malenge sprang auf, machte einen drohenden Schritt auf Baumann zu. «So war sie nicht! Beleidigen Sie Valeria nicht!»
Laura rutschte von der Schreibtischkante und legte beruhigend eine Hand auf Malenges Schulter.
«Niemand will Valeria beleidigen», sagte sie leise. «Aber es wäre wichtig zu wissen, wer Sie beschuldigen möchte. Fällt Ihnen dazu etwas ein?»
«Nein. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich kann auch nicht mehr denken! Ich bin so traurig … Kann noch gar nicht fassen, was passiert
Weitere Kostenlose Bücher