Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
seiner Mutter einen nachdenklichen Blick zu.
Er durchschaut mich, dachte Laura. Es war ihr unangenehm. Sie war froh, dass er sich schnell verzog. Sofia durfte bleiben – Ronald war bereit, eine Entschuldigung für sie zu schreiben.
«Falls die andere Seite Verhandlungen aufnimmt, mach ihnen klar, dass es fürchterlich für sie werden wird, wenn sie das Mädchen nicht in Ruhe lassen. Ich muss jetzt blitzschnell diesen unbekannten Freund aus der Schusslinie bringen und dann ins Dezernat. Bringt Ülivia Frühstück und neue Umschläge für den Kopf. Danke!»
«Noch was, Hauptkommissarin?», fragte Ronald mit beißender Ironie in der Stimme.
«Scheiße», entfuhr es Laura.
«Hört auf!» Sofia stampfte mit dem Fuß auf.
«Entschuldigung!» Laura flüchtete ins Bad, begriff selbst nicht, warum sie es nie verhindern konnte, mit Ronald in Konflikt zu geraten. Ihre Kinder hassten diese kurzen Wortgefechte. Vielleicht würde sie es schaffen, wenn sie entspannt wäre. Aber wie sollte sie in dieser Situation entspannt sein? Wann war sie überhaupt zum letzten Mal wirklich entspannt gewesen? Als sie mit Angelo Guerrini Anfang Januar in Venedig war. Vor drei Monaten. Laura schnitt sich selbst eine Grimasse im Spiegel, dann bürstete sie ihr Haar und schminkte sich. War nötig nach dieser Nacht.
Der geheimnisvolle Riza Talabani wohnte im Rückgebäude eines Altbaus im Bahnhofsviertel. Laura rief ihn von ihrem Auto aus an, um sicher zu sein, dass er nicht bereits zur Arbeit gegangen war. Als sie ihm sagte, dass sie im Auftrag von Ülivia komme, versprach er, auf sie zu warten. Vor der Einfahrt zu seinem Haus parkte Laura in der zweiten Reihe, klebte ihr Einsatzzeichen innen an die Windschutzscheibe. Sie hatte nicht vor, lange zu bleiben, nahm sich aber eine Minute Zeit, den türkischen Gemüseladen zu betrachten, der sich an der gesamten Hausfront entlangzog. Gigantische Löwenzahnstauden stapelten sich neben hellgrünem Weißkraut, orangefarbenen Rüben, Sellerieknollen, Artischocken, Tomaten, Süßkartoffeln, jungem Knoblauch, den ersten Melonen. Es roch nach eingelegten Oliven und Döner Kebab. Laura lief das Wasser im Mund zusammen. Sie liebte türkische und griechische Gemüseläden, war den Händlern dankbar, dass sie diese sinnliche Vielfalt in die Stadtviertel zurückgebracht hatten, allen Supermärkten zum Trotz.
«Ich habe frische Sardinen», rief der Händler ihr nach, als sie sich endlich losriss. Sie konnte nur seinen Schattenriss im Halbdunkel des Geschäftsraums erkennen und dass er einen Karton hochhielt.
«Danke», rief sie zurück. «Vielleicht später!»
Im Hinterhof stand die Tür zu einem Warenlager voller Computer und Drucker offen. Sie musste sich zwischen mehreren Lieferwagen durchzwängen, die eng nebeneinander geparkt waren, und es dauerte eine Weile, ehe sie den richtigen Aufgang zur Wohnung von Talabani fand. Seltsam, dass er den Namen eines kurdischen Rebellenführers trug.
Das Treppenhaus roch ein bisschen, war nicht gerade sauber. Die Döner-Düfte hatten sich offensichtlich mit den Dünsten der Müllcontainer verbunden, was ihnen nicht bekommen war. Talabani wohnte im zweiten Stock, öffnete sofort, obwohl Laura die Klingel kaum berührt hatte. Er war ein hübscher junger Mann, der einen gepflegten Dreitagebart trug. Sein Haar war nicht schwarz, sondern dunkelbraun, seine Augen waren grün. Laura musste mehrmals hinsehen, um es zu glauben. Er lächelte, fuhr sich nervös durchs Haar, das er ein bisschen länger trug, was ihm sehr gut stand. Laura konnte durchaus verstehen, dass Ülivia sich in den jungen Mann verliebt hatte. Er hatte nichts von der Vierschrötigkeit und Schwere ihres Vaters oder Bruders. In seinen Bewegungen lag eine gewisse Anmut.
«Was ist mit Ülivia?», fragte er und sah Laura forschend an.
«Können wir irgendwo ungestört sprechen?»
«Ja, natürlich!» Jetzt sah er besorgt aus. Er schloss die Wohnungstür hinter Laura und führte sie ins Wohnzimmer, das einer roten weichen Höhle glich, weil alle Wände mit roten Teppichen verhängt waren. «Außer mir ist niemand zu Hause», fuhr er fort. «Meine ganze Familie arbeitet. Ich bin tagsüber zu Hause, weil ich als Kellner in einem kurdischen Lokal arbeite. Mein Dienst beginnt um vier Uhr nachmittags.»
Sein Deutsch war perfekt.
«Das ist gut», erwiderte Laura. «Haben Sie einen Freund oder Kollegen, bei dem Sie eine Weile wohnen könnten?»
«Weshalb?», fragte er verwirrt.
«Weil Sie für ein paar Tage
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