Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
bin. Holst du mich ab?»
«Bin in zehn Minuten da!»
DER SCHAUPLATZ des Überfalls in der Isabellastraße war mit Plastikbändern abgesperrt. Ein Streifenwagen der Polizei parkte halb auf dem Gehweg. Kreidelinien markierten die Stelle, an der Roberto Malenge gelegen hatte. Ein später Spaziergänger war beinahe über ihn gestolpert, hatte Notarzt und Polizei alarmiert.
«Hat er was gesehen oder gehört?», fragte Laura einen blassen, sehr müde wirkenden Kollegen, der an seinem Streifenwagen lehnte und den Leuten von der Spurensicherung zusah.
«Gesehen hat er nichts, aber das Opfer hat ihm gesagt, dass der oder die Täter ‹Scheißnigger› gerufen hätten. Hat der Schwarze was ausgefressen, weil er den Namen von Kommissar Baumann kannte?»
«Nein», murmelte Laura. «Kannte ihn nur so.» Ihr gefiel die Art nicht, wie der Kollege «der Schwarze» sagte. Sie umkreiste die abgesperrte Fläche, sah eine Weile den beiden ebenfalls sehr müden Kriminaltechnikern zu, streifte die dunkle Blutlache nur mit einem kurzen Blick. Spürte wieder ihren Magen. Endlich wandte sie sich zu Baumann: «Hol Havel aus dem Bett! Ich möchte, dass er sich das hier ansieht.»
«Wird den Kollegen nicht gefallen», wandte Baumann ein.
«Ist mir egal», entgegnete Laura. «Mir ist dieser Zufall zu zufällig. Es ist doch sehr merkwürdig, dass Roberto Malenge ausgerechnet dann Opfer eines rassistischen Überfalls wird, wenn kurz zuvor seine Freundin ums Leben kam und ein anonymer Anrufer ihn der Tat bezichtigt. Es könnte doch einen Zusammenhang geben, nicht wahr?»
«Und welchen? Der anonyme Anrufer ist der wahre Geliebte der schönen Italienerin und will nun ihren Tod rächen? Meinst du das?» Baumann stieß ein wenig verächtlich die Luft aus.
«Nein. So direkt wird die Sache nicht laufen. Du musst deine Intuition arbeiten lassen, Peter. Ich empfehle dir die Romane von Agatha Christie. Die Dame hatte ein bemerkenswertes kriminalistisches Talent. Vermutlich hätte sie den perfekten Mord begehen können.»
Der junge Kommissar starrte seine Vorgesetzte an. «Bist du immer so drauf, wenn du mitten in der Nacht aufwachst?»
«Nein!», erwiderte Laura grimmig. «Aber mich regt es auf, dass dauernd Leute zusammengeschlagen werden, die mir sympathisch sind!»
Roberto Malenge trug einen schneeweißen Verband um seinen dunklen Kopf, und die Ärzte des Schwabinger Krankenhauses gaben Laura und Baumann fünf Minuten, ihn zu befragen. Nach den Befunden der Mediziner hatte der junge Afrikaner bei dem Überfall eine schwere Gehirnerschütterung, eine haarfeine Schädelfraktur und mehrere Platzwunden erlitten. Er war offenbar mit einem schweren Gegenstand niedergeschlagen worden – einer Keule oder einem Baseballschläger.
Der Ausdruck seiner Augen hatte sich seit ihrem Gespräch am Nachmittag verändert. Er schien nicht mehr nach außen gerichtet, sondern eine Art Schutzwand zwischen sich und der Welt errichtet zu haben. Sein Blick war zurückgenommen, vage, hatte etwas Abgestorbenes.
«Wer hat es getan?», fragte sie. Fand es unnötig, irgendwelche mitfühlenden Floskeln aufzusagen. Er wollte so was nicht, das konnte sie sehen.
«Weiß nicht!» Seine Stimme klang brüchig.
«Wirklich keine Ahnung?»
«Nein.»
«Hat er ‹Scheißnigger› gesagt?»
Roberto schluckte schwer, befeuchtete mit der Zungenspitze seine Lippen. «Er hat gesagt: Scheißnigger, ich bring dich um!»
«War es einer?»
«Ich glaube. Können aber auch zwei gewesen sein.»
«Weshalb waren Sie so spät noch unterwegs, Roberto?» Das war Kommissar Baumann.
Malenge schloss die Augen. «Konnte nicht schlafen. War erst in der Kneipe, dann spazieren. Weiß nicht, wohin mit mir … ohne sie.»
«Hatten Sie das Gefühl, dass jemand Ihnen folgte?» Baumann spulte das Programm ab.
«Ich weiß nicht.» Malenge machte seine Augen nicht mehr auf.
«Ich glaube, es reicht. Danke, Roberto. Sie sollten sich jetzt ausruhen … Ich hoffe, es geht Ihnen bald besser.» Laura legte eine Hand auf seinen Arm. Roberto Malenge bewegte sich nicht. Leise verließen sie das Krankenzimmer.
«Das ist eine sehr merkwürdige Geschichte», sagte Laura auf dem Weg zum Ausgang. «Falls Malenge in einem Anfall von Eifersucht Valeria Cabun aus dem Fenster gestoßen hat, dann frage ich mich wirklich, wer hier als Rächer auftritt. Aber angenommen, Malenge hat nichts mit Valerias Tod zu tun, dann wird die Angelegenheit noch unverständlicher.»
«Vielleicht solltest auch du Agatha Christie
Weitere Kostenlose Bücher