Die Löwin aus Cinque Terre: Laura Gottbergs dritter Fall
einlassen konnte, malte die türkische Tragödie in allen Farben aus und brachte Angelo damit zum Lachen. Doch als sie die Geschichte zu Ende erzählt hatte, wurde er schnell ernst, nippte nachdenklich an seinem Wein, kaute ein paar Walnüsse. An der Wand tickte die Uhr sehr laut, und Laura fühlte sich erschöpft.
«Du siehst aus, als hättest du ein schlechtes Gewissen», sagte er nach einer Weile.
«Tatsächlich?»
«Ja. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, warum du dich so anstrengen musst, und ich bin sicher, dass es daran liegt.»
Laura war zu müde, um Widerstand zu leisten. «Ja, ich habe ein schlechtes Gewissen. Es fällt mir schwer, meinen Kindern zu zeigen, dass ich außer ihnen noch jemand anderen liebe.»
Guerrini lächelte, und Laura versuchte die winzigen Lustwellen zu ignorieren, die über ihren Rücken liefen, wenn sie in seine Augen sah. Diese verdammten Bernsteinaugen!
«Das hast du hübsch gesagt.»
«Was?» Laura hatte völlig den Faden verloren.
«Dass es dir schwer fällt, deinen Kindern zu zeigen, dass du außer ihnen noch jemand anderen liebst. Danke für diese indirekte Liebeserklärung. Wann hast du es deinen Kindern eigentlich gesagt?»
«Gestern Abend.»
«Du bist ja wirklich eine Heldin!» Er lachte laut. «Und da wunderst du dich, dass die beiden mich ansehen wie einen gefährlichen Feind?»
«Nein! Ich wundere mich nicht!»
«Und warum hast du ein schlechtes Gewissen?» Er beugte sich vor, nahm ihre Hand und sah ihr forschend in die Augen.
«Weil sie unter der Scheidung gelitten haben, weil sie beide ihren Vater lieben, weil sie es schrecklich finden, dass er eine Freundin hat, und ich ihnen einen festen Boden geben möchte, auf dem sie stehen und sich entwickeln können.»
«Glaubst du, dass wir beide deinen Kindern etwas wegnehmen, wenn wir uns lieben?»
«Ich weiß es nicht, Angelo. Es ist nur so, dass ich mit dir eine ganz andere Seite meiner Persönlichkeit lebe. Ich würde am liebsten mit dir weglaufen, alle Pflichten vergessen … das Ticken in meinem Kopf abschalten. Du hast mich dazu gebracht, dass ich inzwischen dieses Ticken meines Pflichtbewusstseins selbst hören kann. Ich möchte mehr meine italienische Seite leben und die deutsche für eine Weile vergessen. Mein eigener Vater drängt mich dazu, es zu tun!»
Guerrini nahm auch Lauras zweite Hand. «Ich will ihn unbedingt kennen lernen!»
«Er dich auch! Zeig mir endlich diesen verdammten Papagallo, hat er gesagt!»
«Klingt sehr sympathisch!»
«Ist er auch. Hast du es übrigens inzwischen deinem Vater gesagt, dass wir uns lieben?»
Guerrini schüttelte den Kopf.
«Auch schlechtes Gewissen?»
«No! Paura, Angst! Er war immerhin Partisan!»
Sie brachen beide in Gelächter aus, und die Beklommenheit zwischen ihnen löste sich endlich. Es war halb zwölf, als sie auf ihre Feigheit anstießen. Und dann klingelte das Telefon.
Als Laura kurz darauf in ihrem Wagen saß und sich auf den Weg nach Schwabing machte, empfand sie das Leben als hochgradig ungerecht. Es war Peter Baumann gewesen, der sie angerufen hatte, und ein Anklang von Schadenfreude war nicht zu überhören, obwohl er nicht wusste, dass Guerrini bei ihr war.
«Dieser Fall Cabun wird langsam wirklich interessant», hatte er gesagt. «Rate mal, wen es diesmal erwischt hat?»
«Ich hab keine Lust zu raten!»
«Spielverderberin! Es ist … Doktor Denner persönlich.»
«Ist er tot?»
«Nein, aber es sieht nicht gut aus!»
«Wohin soll ich kommen?»
«Erst mal zu den Denners. Er wurde fünfzig Meter vor der eigenen Haustür niedergestochen!»
«Hol Havel!»
«Schon erledigt!»
Malenge?, dachte Laura, während sie über den Altstadtring nach Norden fuhr. Es herrschte noch eine Menge Verkehr. Karfreitag war offensichtlich eine Nacht zum Ausgehen geworden. Vieles deutete auf Malenge. Es machte Laura wütend. Sie hasste Fälle, die der schweigenden Mehrheit Munition für ihre Vorurteile lieferten. Sie war überhaupt wütend! Ihr erster Abend mit Guerrini war genau in dem Augenblick unterbrochen worden, als sie sich wiedergefunden hatten. Sie fragte sich, ob er jetzt mit Luca und Sofia den Rest des Films ansah. Natürlich hatte er verstanden, dass sie zum Dienst musste, schließlich war er selbst Polizist.
Laura bremste scharf, als ein Wagen genau vor ihr auf die linke Spur wechselte. Wie viele Gläser Wein hatte sie getrunken? Drei oder vier? Jedenfalls zu viele. Sie fuhr langsamer, war froh, als sie endlich die stille Seitenstraße
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