Die Löwin von Aquitanien
Regierung übernehmen soll, dann darf er keine Herzöge haben, die sich gleichrangig gebärden. Ich werde Richard befehlen, ihm den Lehnseid zu schwören.«
Alienor blickte auf das eisüberzogene Fenster. »Unter den gegebenen Voraussetzungen ist das richtig. Aber hast du schon einmal daran gedacht, daß Richard einen besseren König abgäbe?«
Henry lachte. »Das würde dir passen, nicht wahr? König Richard!
Aber daraus wird nichts, Alienor. Hal ist gekrönt, und das bleibt er auch, einmal, weil man eine Krönung nicht mehr rückgängig machen kann, und zum zweiten, weil ich es so will.«
Er faßte mit beiden Händen die Kanten des breiten Lehnstuhls, in dem sie saß, und beugte sich über sie. »Ist es so einsam in Salisbury, daß du es nicht aufgeben kannst, dir die Zeit mit Verschwörungen zu vertreiben?«
»Ist deine Herrschaft so gefährdet«, schlug sie zurück, »daß du überall Verschwörungen siehst?«
»Schatten in der Schwärze zu erkennen ist Aufgabe eines Herrschers.«
»Oh«, sagte Alienor süß, »bringst du in der Nacht nichts anderes mehr fertig? Armer alter Henry.«
Henry starrte sie an, dann machte sich ein Grinsen in seinem Gesicht breit. »Bei Gott, du bist noch in Übung. Wie kannst du dein Gift nur so lange frisch halten, mein Schatz? «
»Du hältst mich jung, Henry, das hast du immer getan.«
Richard hatte sich sehr verändert. Er war verschlossen; die letzten Jahre hatten ihn härter und mißtrauischer gemacht. »Warum sträubst du dich so wegen des Lehnseids?« fragte ihn Alienor bei einem gemeinsamen Spaziergang. »Clairvaux verstehe ich, aber dieser Eid?
Er bedeutet gar nichts, wenn es darauf ankommt, das weißt du.«
Richard blieb stehen und schaute sie an. »Ich glaube gern«, sagte er ausdruckslos, »daß Euch ein Eid nichts bedeutet.«
»Was meinst du damit?«
Mit zusammengebissenen Zähnen preßte er hervor: »Ich habe es damals nicht so gesehen, aber mein Gott, Ihr habt mich benutzt, benutzt wie ein Werkzeug, um Euch an Eurem Gemahl zu rächen, Mutter!«
Damit war er heraus, der Vorwurf, der schon lange in ihm gärte.
Alienor schien betroffen; sie sagte nichts, nahm nur den Schritt wieder auf, und er folgte ihr schweigend. »Es ist wahr«, sagte sie mit einem Mal unerwartet, »aber ich habe es nicht nur für mich getan, Richard. Ich habe es auch für dich getan, weil ich dich als unabhängigen Herzog von Aquitanien sehen wollte, und das will ich auch jetzt noch.«
Sie griff nach seiner Hand. »Und dazu ist es nötig, daß du jetzt auf meinen Rat hörst. Wir dürfen nicht wieder solche Fehler machen wie damals. Schwör Hal den Lehnseid; die Sache mit Clairvaux kannst du ganz einfach lösen. Übergib es, aber nicht an Hal, sondern an Henry. Henry wird Hal nie mehr zugestehen, als unbedingt sein muß, und ganz bestimmt nicht eine der mächtigsten neuen Burgen im Lande. Auf diese Art kann Hal nicht mehr behaupten, du hättest dir Clairvaux widerrechtlich angeeignet.« Ihr Blick wurde abwesend, fast zerstreut. »Ich wundere mich nur«, sagte sie langsam, »warum Geoffrey so ohne weiteres bereit ist, Hal zu unterstützen.«
Schließlich fand sich Richard widerwillig bereit, Clairvaux seinem Vater zu überlassen und Hal den Lehnseid zu schwören. Doch Alienor war noch nicht wieder im Salisbury Tower angekommen, da erreichte sie die Nachricht, daß sich Hal nun auf einmal geweigert hatte, Richards Lehnseid anzunehmen, und sogar verkündete, er werde den Baronen im Limousin gegen Richard beistehen.
Geoffrey, der treibende Geist hinter Hal und den Baronen, hatte seine Schachfiguren gut plaziert. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war eine vereinte Streitmacht von Richard und Henry, welche die Aufständischen Zug um Zug aufrieb. Während sich Geoffrey noch verzweifelt bemühte, die Hilfe des französischen Königs zu erlangen, erfaßte Hal plötzlich ein verheerendes Fieber.
Am elften Juni starb Henry Plantagenet der Jüngere, König von England. Er war achtundzwanzig Jahre alt gewesen.
Alienor trauerte um Hal, das dritte ihrer Kinder, das nun gestorben war, nicht um den eitlen, leichtsinnigen Mann, den sie zuletzt in Caen gesehen hatte, sondern um das Kind, das sie geliebt hatte - jenes Kind, das sie erwartete, als sie an Henrys Seite zum ersten Mal den Kanal überquerte. Der blonde, liebenswerte Junge, der Raymond geglichen hatte. Mathilda erhielt die Erlaubnis, ihre Mutter zu besuchen.
Doch Alienor lag es nicht, in Trauer zu resignieren. Außerdem war
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