Die Löwin von Aquitanien
Frau, sofern sie nicht derselben Familie angehörten, sich lieben konnten, ohne das Geschlechtliche mit ins Spiel zu bringen. »Mit allem Respekt vor unserer Mutter, der Kirche«, sagte er selbstsicher, »halte ich doch die Caritas, die reine Nächstenliebe, für unmöglich zwischen Männern und Frauen. Entweder sie begehren sich, oder sie lieben sich nicht.«
Der Blick, den er Alienor zuwarf, war schlichtweg unverschämt, doch sie amüsierte sich darüber und entgegnete sarkastisch: »Gilt das in jedem Fall und ausnahmslos? Halt«, sie hob die Hand, »überlegt, bevor Ihr sprecht, Graf, ich könnte Euch sonst sehr in Verlegenheit bringen.«
»Es wäre mir ein Vergnügen«, gab Vermandois zweideutig zu-rück, »von meiner Königin in Verlegenheit gebracht zu werden.
Doch ich bin ganz sicher. In jedem Fall.« Auf Alienors Wangen bildeten sich Grübchen. »Wollt Ihr damit sagen, daß Maria aus Magdala unseren Herrn Jesus, den sie liebte, auf unziemliche Weise begehrt hat… und daß er sie dennoch in seiner Nähe behielt? Aber Graf, was für Andeutungen!«
Ihre Zuhörer brachen in Gelächter aus, und Denise du Chabrais, eine ihrer Damen, die aus Paris stammte, meinte kichernd: »Oh Gott, wenn das der ehrwürdige Abt Suger gehört hätte, Euer Gnaden - oder die Königinmutter!«
Diese Vorstellung löste einen neuen Lachanfall aus, bis Michel de Monteil meinte: »Übrigens, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mir die Zuneigung meines Vetters Vermandois verscherze - uns allen ist doch ein solcher Fall von Liebe bekannt… wenn man von den heiligen Evangelien einmal absieht.« Alle schauten neugierig auf ihn.
Michel de Monteil ließ sich Zeit, strich sich über den Schnurrbart und kam schließlich damit heraus: »Ich sage nur… Pierre Abélard.«
»Aber natürlich!« rief Charlotte, die andere Hofdame, aufgeregt.
Alienor bat um Aufklärung. Selbstverständlich war ihr der Name Abélards bekannt. Er galt seit mehr als zwanzig Jahren als der kühnste aller Theologen, die je in Paris unterrichtet hatten, und wenn diese Stadt eines hatte, was sie auch in den Augen der selbstbewußten Aquitanier zu einer wahrhaft bedeutenden Stadt machte, dann war es ihre Universität mit den zahlreichen Gelehrten und den einander befehdenden Schulen. Doch sie wußte nicht, wie Abélard mit dem zur Diskussion stehenden Thema in Verbindung zu bringen war.
»Aber Euer Gnaden«, sagte Denise ungläubig, »kennt Ihr denn nicht die Geschichte von Abélard und Heloise? Vor etwa zwei Jahrzehnten, als Pierre Abélard hier an der Universität von Paris Kanonikus war, unterrichtete er auch die junge Heloise, die in dem Ruf stand, es mit den besten Gelehrten aus aller Welt aufnehmen zu können.«
»Mein Vater meinte immer, so viel Gelehrsamkeit bei Frauen sei teuflisch und gewiß schuld an dem ganzen Unglück« , warf Charlotte ein. Alienor bedeutete ihr ärgerlich zu schweigen. Sie wollte mehr von der unbekannten Heloise hören. Also hatte es tatsächlich eine Frau gegeben, der Männer ebenbürtige Fähigkeiten zugestehen mußten!
»Abélard und Heloise wurden ein Liebespaar«, nahm Denise den Faden wieder auf, »und flohen aus Paris. Sie heirateten heimlich und sollen sogar ein Kind gehabt haben, aber das weiß man nicht. Doch als Abélard nach Paris zurückkehrte, ließ ihn Heloises Onkel, der Kanonikus Fulbert, überfallen und…« Sie errötete und geriet ins Stottern.
Raoul de Vermandois, der keine Hemmungen hatte, vollendete für sie: »Und raubte ihm die Teile, die aus einem Mann einen Mann machen.«
Alienor war erschüttert. »Und was geschah dann?«
»Abélard zog sich in ein Kloster zurück«, erwiderte Denise, »und bat Heloise, die bei ihm bleiben wollte, statt dessen das gleiche zu tun. Er gründete schließlich mit einigen Schülern eine Gemeinschaft, an einem Ort, den er Paraklet nannte, und dort ist Heloise jetzt auch Äbtissin eines Nonnenklosters, das sie mit seiner Hilfe ins Leben gerufen hat, so heißt es.«
»Er lebt nicht mehr dort«, sagte Michel de Monteil. »Es gab zuviel Klatsch, obwohl man meinen sollte, daß die beiden ein für allemal davor sicher sein müßten. Daher hat er die Berufung als Abt von Saint-Gildas angenommen.«
Alienor war mit Märchen und Legenden von unglücklichen Liebespaaren aufgewachsen, doch das übertraf alles. Es regte ihre lebhafte Einbildungskraft an, und sie wollte sich nicht mit dem traurigen Ende abfinden. Es mußte doch irgend etwas geben, das…
»Das hat nun lange genug
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