Die Loewin von Mogador
er.
„Weißt du, wie viele Hände ich brauche, um
Safran zu ernten?“, erwiderte er. „Ich habe versucht, mehr Ait Zelten
anzuwerben, aber nicht alle wollen für einen Ausländer arbeiten. Dein Geschäft
steht doch auch auf mehreren Beinen.“
Er spielte darauf an, dass sie nicht nur mit
Leder handelte, sondern mit einer Vielzahl von Produkten. Sie exportierte außer
Leder und Safran auch Getreide, Straußenfedern, Gummi Arabicum, Schafwolle und
Kork, das aus den Eichenwäldern nördlich von Marrakesch stammte. All das
garantierte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Einkünfte. Darüber hinaus
pflegte sie zu ihren Lieferanten gute Beziehungen, so dass sie ihr auch treu
blieben, als der Sultan vor einigen Jahren den größeren und besser schiffbaren
Hafen von Casablanca für den internationalen Handel geöffnet hatte.
Sibylla zog ihr verrutschtes Schultertuch
zurecht. „Wir gehen am besten in mein Kontor, und du zeigst mir deinen Safran.
Ich habe nämlich nicht endlos Zeit!“
André deutete spöttisch eine Verbeugung an.
„À vos ordres, Madame!“
Während er ihr zu der Treppe, die ins
Obergeschoss führte, folgte, musterte er ihre hochgewachsene schlanke Gestalt
und dachte, dass sie für ihn über all die Jahre eine bemerkenswerte Person
geblieben war, die die selbstsichere Schönheit einer lebenserfahrenen Frau ausstrahlte.
Er blickte auf ihren Nacken, dessen Haut immer noch hell und zart war. Ihr
früher goldenes Haar leuchtete weißblond und war im Nacken mit einer
perlenbesetzten Spange zu weichen Wellen gesteckt. Wie immer trug sie ein
traditionelles arabisches Frauengewand, aber Chalwars und Kaftan waren aus
kostbarer Seide gearbeitet und mit kleinen Blüten bestickt. Außer ihrer Tochter
Emily war sie die einzige Ausländerin, die sich wie eine Araberin kleidete,
aber inzwischen zerriss sich niemand mehr darüber das Maul.
In Mogador hatte man sich daran gewöhnt, dass
Sibylla Hopkins ihren eigenen Kopf hatte. Sie galt als unnahbar und
eigenwillig, als eine Frau, die enger mit den Damen im Harem des Statthalters
als mit den Europäerinnen befreundet war. Manche bewunderten, wie unerschrocken
sie vor Jahren mit Sultan Moulay Abd Er Rahman um das Leben ihres Mannes
gestritten hatte, andere lobten, wie sie nach der Zerstörung Mogadors mit viel
Geld zum Wiederaufbau der Stadt beigetragen hatte. Der unbeugsame Kaid Hash
Hash hatte ihre Wohltätigkeit anlässlich der von ihr gestifteten ersten
Wasserleitung Mogadors sogar öffentlich gepriesen.
Hash Hash war inzwischen tot, aber Sibylla
unterhielt auch mit seinem Sohn und Nachfolger Samir – der den Beinamen el
Tawfiq, der vom Glück Begünstigte, trug – gute Verbindungen. Mit Samirs Mutter
Wahida und Hash Hashs erster Gattin Lalla Jasira machte sie seit vielen Jahren
Geschäfte. André wusste von Sibylla, dass sie Wahida und der kinderlosen Lalla
Jasira geholfen hatte, die Nachfolge Samirs gegen die Söhne von Hash Hashs
anderen Frauen durchzusetzen. Zum Dank sorgten die beiden dafür, dass die
Frauen weiter unbehelligt miteinander handeln durften. Damals hatten die Araber
begonnen, Sibylla „die Löwin von Mogador“ zu nennen.
Sie brachte Andrés Herz immer noch zum
Schwingen, denn sie war eine Frau wie keine andere. Bis an sein Lebensende
würde er sich nicht verzeihen, dass er so dumm gewesen war, ihre Liebe zu
verspielen. Als sie endlich wieder mit ihm redete, hatte sie ihm klargemacht,
dass ihre Verbindung von nun an rein geschäftlicher Natur sein würde.
Er erinnerte sich noch genau, wie glücklich
er gewesen war, als sie sich fünf Jahre nach dem Desaster mit Aynur zum ersten
Mal wieder allein gegenübergestanden hatten. In diesen fünf Jahren hatte er
mehrmals vergeblich an ihre Tür geklopft. Er hatte ihr Briefe geschrieben, auf
die er nie eine Antwort erhalten hatte. Er hatte sie in ihrem neu gebauten
Kontor mit Lagerhaus aufgesucht, und sie hatte ihn nicht vorgelassen. Waren sie
sich zufällig in der Stadt begegnet, hatte sie ihn ignoriert. Erst der Safran
hatte sie einander wieder nähergebracht.
Sie standen vor Sibyllas Bürotür. „Bitte
sorge dafür, dass ich in der nächsten Stunde nicht gestört werde!“, befahl sie
Aladdins Bruder, bevor sie die Tür hinter sich und André schloss.
Sie drehte sich zu André, und ihr Lächeln
ließ die Strenge ihres Gesichtes weicher erscheinen. „Bei dir weiß ich
wenigstens, dass ich weder Ringelblumen noch Färberdisteln bekomme.“
Er hängte sein Gewehr über eine Stuhllehne,
nahm
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