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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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das Bild in eine lederne Mappe, die neben ihr auf dem
Kai gelegen hatte. Dann stützte sie die Hände auf den rauhen Stein der Mauer,
lehnte sich zurück und genoss die Sonnenwärme auf ihrer Haut und den Wind, der
mit ihren Locken spielte.
    In drei Monaten wurde sie neunzehn, und sie
fand, dass sie allmählich wissen sollte, was sie mit ihrem Leben anfangen
wollte. Von ihren gleichaltrigen Schulkameradinnen waren die meisten mit ihren
Müttern nach dem Ende der Schulausbildung nach Europa gereist, um in die
Gesellschaft eingeführt zu werden und passende Ehemänner kennenzulernen. Einige
hatten ihr bereits geschrieben, dass sie sich verlobt hatten. Johns Frau
Victoria war nur ein Jahr älter als Emily und sogar schon Mutter! Emily
hingegen verspürte den Wunsch nach Heirat und Mutterschaft noch nicht und war
froh, dass ihre eigene Mutter sie nicht dazu drängte. Ihr sehnlichster Wunsch
war es, eine Kunstakademie in Europa zu besuchen und Malerei zu studieren,
vielleicht auch etwas über die neue Kunst der Fotografie zu lernen.
    Vor einiger Zeit hatte sie mit ihrer Mutter
darüber gesprochen. „Warum nicht?“, hatte Sibylla zu Emilys großer Freude
geantwortet. „Aber jetzt geht es nicht. Du kannst nicht allein nach Europa
reisen, und ich kann die Geschäfte hier nicht sich selbst überlassen. Wenn
deine Brüder aus England zurückkommen und John mehr Arbeit für die Reederei
übernehmen kann, sprechen wir noch einmal darüber.“
    Nun kamen Thomas und John aus England zurück,
und Emily hoffte, dass ihre Mutter ihr Versprechen bald einlösen würde.
    Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht. Sie
öffnete die Augen und sah Mr. Philipps, den Hafenmeister, neben sich stehen.
    „Guten Tag, Miss Hopkins. Gerade habe ich
Nachricht erhalten, dass die Urania durch die Hafeneinfahrt manövriert. Wenn
ich nicht irre, eine gute Nachricht.“ Er zwinkerte ihr freundlich zu.
    Emily sprang auf. „Tom und John sind zurück!
Endlich! Ich sage sofort Mutter Bescheid! Vielen Dank, Mr. Philipps!“
     
    „Unvorstellbar, dass Kaiser Nero bei seinem
Triumphzug die Straßen Roms mit Safran bestreuen ließ“, bemerkte André und fuhr
mit seinen Fingern durch die winzigen getrockneten Stempelfäden. Vor wenigen
Wochen noch waren sie im Herzen der kleinen Krokuspflanzen versteckt gewesen,
die auf seinen Feldern einen dichten blasslila Blütenteppich gebildet hatten.
Bald würden sie verwöhnten Gaumen in Speisezimmern und Restaurants auf der
ganzen Welt schmeicheln.
    „Bei den Mengen, die er dafür brauchte,
vermute ich, dass er heimlich auf Ringelblumen oder Ähnliches zurückgegriffen
hat“, entgegnete Sibylla trocken. Sie ergriff ihren Schlüsselbund, öffnete
einen mit Vorhangschloss und Kette gesicherten schweren Holzschrank, nahm zwei
runde Tongefäße und eine Waage heraus und stellte alles auf ihren Schreibtisch.
Dann wog sie den Safran nach, füllte ihn in die beiden Töpfe und stellte sie
wieder in den Schrank.
    Sie rüttelte prüfend am Vorhängeschloss.
„Darf ich dir noch eine Tasse Tee anbieten? Ich weiß, dass anlässlich unseres
Geschäftsabschlusses Champagner angebracht wäre, aber wir sind in Marokko…“
    „Avec plaisir“, erwiderte André erfreut. „Tee
ist perfekt.“
    „Und wie sind deine Geschäfte dieses Jahr
gelaufen?“, erkundigte er sich, als das dampfende, von Aladdins Bruder
zubereitete Getränk auf ihrem kleinen Besprechungstisch stand.
    „Bitte nimm Platz!“ Sie wies auf einen
niedrigen Tisch in einer Ecke des Raumes, an dem einige Stühle standen. „Wenn
ich ehrlich bin, war das Jahr durchwachsen. Unter dem Strich habe ich zwar
keine Verluste für Spencer & Sohn gemacht, aber wegen der Dürrejahre hat
die Qualität von Leder, unserem Hauptexportartikel, doch sehr gelitten.“
    Er grinste. „Die Klage ist des Kaufmanns
Gruß. Ich bin sicher, dass dein Bruder in London trotzdem zufrieden sein wird.
Er weiß, dass er für den Marokkohandel niemand Besseren als dich finden kann!“
    „Ich glaube, da hast du recht.“ Sie war
geschmeichelt.
    „Natürlich habe ich das! Wäre er nicht
zufrieden, hätte er jemand anders an deiner Stelle nach Mogador geschickt.“
    „Mein Vater hat das versucht. Und sogar er
musste schließlich zugeben, dass ich einen guten Sinn fürs Geschäft habe.
Apropos – wenn du nicht auf deinen halben Anbauflächen Gemüse statt Safran
pflanzen würdest, könntest du einer der reichsten Männer Marokkos sein.“
    „Touché!“ André hob die Hände. „Geld bedeutet
mir eben

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