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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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wieder bei ihnen zu sein!“
    Nachdem die Tischrunde angestoßen hatte,
wandte Oscar sich an den jungen Araber, der Thomas gegenübersaß: „Nun, Doktor
bin Abdul, wie sagt Ihnen unsere abendländische Küche nach zwei Jahren in
England zu?“
    Der junge Mann lächelte verschmitzt. „Wenn
Sie mich nach der englischen Küche gefragt hätten, würde ich mein Urteil lieber
für mich behalten. Ihr französischer Koch allerdings hat wieder einmal
bewiesen, dass man seinen Künsten blind vertrauen darf.“
    „Welche Aufgaben erwarten einen Arzt in
Mogador?“, erkundigte sich Oscars Frau interessiert.
    „Nun, dieselben wie hier, nehme ich an“,
erwiderte Thomas. „Da die ausländische Gemeinde von Mogador mich angestellt
hat, werde ich mich hauptsächlich um ihr Wohl kümmern. Wenn mir darüber hinaus
Zeit bleibt, werden mein Freund bin Abdul und ich uns der Bekämpfung von
Epidemien wie Cholera oder Typhus widmen, die in Mogador genauso wüten wie in
unseren Slums.“
    Sibylla hatte die ausländische Gemeinde
Mogadors überzeugt, Thomas anzustellen. Er würde der erste europäische Arzt
sein und sich hauptsächlich um das Wohl der ausländischen Kaufleute kümmern.
    “Und wie gedenken Sie gegen diese Seuchen
vorzugehen?“, fragte ein Kirchenmann in schwarzem Rock und steifem weißen
Kragen.
    „Indem wir es mit der Göttin Hygeia halten“,
antwortete Thomas. „Ich bin sicher, dass sich viele Epidemien durch konsequente
hygienische Maßnahmen wie sauberes Trinkwasser und gute Belüftung der
Unterkünfte verhindern lassen. Stimmst du mir zu, bin Abdul?“ Er schaute zu
Sabri, der nachdrücklich nickte.
    Während der Reverend mit gerunzelter Stirn
über Thomas‘ Worte nachdachte, betrat die Kinderfrau der Hopkins den Festsaal.
Sie führte die vierzehn Monate alte Charlotte an der Hand. Charlottes
Zwillingsbruder Selwyn trug sie auf dem Arm. Johns und Victorias Mienen wurden
ernst. Charlotte war robust und lebhaft, aber ihr Bruder sehr zart, fast
schwächlich. Er vertrug das feuchtkalte Klima und die verschmutzte Luft Londons
nicht und litt unter Asthma. Thomas drängte John und Victoria schon lange, mit
ihm nach Mogador zurückzukehren. Er glaubte, dass der kleine Junge nur in der
Wärme und Seeluft Afrikas gesund werden könnte.
    John beugte sich zu seiner Tochter. „Na,
meine Kleine, willst du mir gute Nacht sagen?“ Charlotte strahlte ihn an, und
er gab ihr einen Kuss. Dann wandte er sich seinem Sohn zu. Victoria hatte ihn
der Kinderfrau abgenommen. Blass und müde kuschelte er sich in die Arme seiner
Mutter.
    Die Kinderfrau sagte leise: „Er hat heute
wieder viel gehustet. Ich ließ feuchte Tücher um sein Bett hängen, wie Doktor
Hopkins angeordnet hat, um ihm das Atmen zu erleichtern.“
    Victoria blickte zu Thomas, der den kleinen
Jungen besorgt betrachtete. Als er zum ersten Mal davon geredet hatte, dass das
Klima Mogadors Selwyn guttun würde, hatte sie noch gehofft, dass John mit ihr
und den Kindern in England blieb. Marokko war ein unzivilisiertes, heidnisches
Land, eine viele Wochen dauernde Schiffsreise von England entfernt. Doch
inzwischen hatte Selwyns Zustand sich so verschlechtert, dass sie keine andere
Wahl mehr hatten, als umzuziehen. Und John wünschte sich die Rückkehr in die
Stadt, die er als seine wahre Heimat betrachtete. Victoria schob ihre eigenen
Bedenken beiseite und beugte sich über Selwyns aschblonde Löckchen: „In Mogador
wird es dir besser gehen, mein Liebling. Dort wirst du ein starker gesunder
Junge werden.“
     
    Mogador im Dezember 1859
     
    Im großen Lagerhaus der Reederei Spencer
& Sohn am Hafen von Mogador roch es nach Leder und Gerbstoffen, ein
leichter Lufthauch zog durch die Fensterluken und sorgte für Trockenheit und
Kühle. Hier lagerten versandfertige Häute auf Holzrosten. Zum Schutz vor Rissen
und Flecken waren die Stapel mit großen Baumwolllaken abgedeckt.
    Sibylla schlug das Tuch über einem der Stapel
zurück, ließ sich die Öllampe von ihrem Schreiber Aladdin reichen und hielt sie
dicht über die oberste Haut.
    „Keine Stockflecken, kein Schimmel, gut!“,
murmelte sie und strich mit der anderen Hand prüfend über die weiche
Oberfläche. Nicht nur Flecken und Schimmel, auch Unebenheiten minderten die
Qualität. Dann nahm sie die
Haut, hielt sie gegen das durch die offene Tür hereinfallende Licht und
betrachtete sie stirnrunzelnd. An einigen Stellen schimmerte Helligkeit
hindurch. Nach mehreren auch für Marokko sehr trockenen Jahren ließ das

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