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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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die Satteltasche von der Schulter und holte einen Leinensack heraus.
„Hättest du damals schon bei mir gekauft statt bei diesen Halunken aus dem
Hohen Atlas, wäre dir das nicht passiert. Aber Lehrgeld ist ja bekanntlich das
am besten angelegte Geld.“
    Während er die Verschnürung löste, breitete
Sibylla ein Tuch auf der Schreibtischplatte aus. André leerte den Inhalt des
Sackes vorsichtig aus, dann nahm er ein paar der zarten rotgoldenen Blütenfäden
und hielt sie Sibylla unter die Nase. Sie schnupperte mit geschlossenen Augen,
und er erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, dass sie mit dem Ergebnis der Ernte
zufrieden war.
    Als es ihm nach einigen Jahren des
Experimentierens gelungen war, Safran von allerbester Qualität zu ernten, war
ihm nur eine Person eingefallen, der er das Gewürz anbieten wollte. Mit einer
Probe im Gepäck hatte er Sibylla förmlich aufgelauert, als sie an einem kühlen
Abend kurz vor Weihnachten ihr Büro am Hafen verlassen hatte. Sie war richtig
erstarrt, als er sich ihr so unvermittelt in den Weg gestellt hatte, und fuhr
ihn an: „Lass mich in Ruhe, André! Geh einfach, und lass mich ein für alle Mal
in Ruhe!“
    Ihr bitterer Hass hatte ihm wehgetan, aber er
wusste, dass er ihn verdiente. „Ich würde vor dir auf die Knie fallen und dich
um Verzeihung bitten, wenn ich nicht genau wüsste, dass das bei dir nicht das
Geringste ausrichtet. Also habe ich dir etwas mitgebracht, das vielleicht beim
Verzeihen hilft.“
    „Vielleicht weißt du das nicht, aber es gibt
Dinge, die zu schwer wiegen, als dass man sie verzeihen könnte!“, hatte sie
geblafft und wollte sich an ihm vorbeidrängen. Aber er hatte sich ihr in den
Weg gestellt. „Sieh dir wenigstens an, was ich habe! Wenn du es nicht willst,
werde ich dich nicht mehr behelligen.“
    Sie hatte nachgegeben und André in ihr Kontor
geführt, und sie hatten so wie heute vor ihrem Schreibtisch gestanden. Er hatte
ihr seinen Safran gezeigt und erklärt, wann man die kleinen Knollen pflanzen
musste und dass unendlich viele nötig waren, um nur ein einziges Kilo Safran daraus
zu gewinnen. Man konnte die wertvollen Fäden nur am ersten Tag der Blüte
ernten, frühmorgens, damit die Sonne sie nicht verbrannte. Nach wenigen Worten
hatte er bemerkt, wie interessiert Sibylla ihm lauschte, und als sie nach dem
Preis fragte, wusste er, dass er gewonnen hatte.
    „Was sagst du zur diesjährigen Ernte?“,
fragte er gespannt.
    Sie öffnete die Augen. „Aromatisch, etwas
bitter mit einer Spur Honigduft. Sehr gut! Aber das habe ich auch nicht anders
von dir erwartet. Wie vereinbart biete ich dir einhundert Pfund Sterling.“
    „Warum hast du es so eilig?“ André schob das
Tuch mit dem Safran beiseite und beugte sich zu ihr über die Tischkante.
„Erzähl mir lieber, wie es dir geht. Wir haben uns fast ein ganzes Jahr nicht
gesehen.“
    Sibylla schwieg. Die steile Falte, die sich
erst in ihre Stirn gegraben hatte, seit er sie so unsagbar gekränkt hatte,
vertiefte sich.
    „Hast du schon Vorbereitungen für Weihnachten
getroffen?“, wagte er einen weiteren Versuch.
    Erleichtert merkte er, dass die Strenge sich
löste. Sie nickte. „Dieses Jahr feiere ich ganz groß. Thomas und John kommen
nach Hause. Ich erwarte sie jeden Tag zurück. John bringt seine Familie mit,
seine Frau Victoria und die beiden Kleinen. Ich bin seit einem Jahr Großmutter,
André, und habe meine Enkel noch nie gesehen, kannst du dir das vorstellen?“
Jetzt strahlte sie sogar.
    „Wenn ich dich mit meiner alten Mémé
vergleiche, wie sie im Winter vor dem Feuer saß und mit gichtigen Fingern
Socken strickte, ehrlich gesagt nicht“, erwiderte er. „Ich denke, deine Schwiegertochter
wird von dir überrascht sein – im besten Sinne natürlich.“
    „Du schmeichelst mir, André Rouston. Victoria
kommt aus London. Vermutlich hält sie mich für rückständig und weltfremd.“
    „Das kann ich mir beim besten Willen nicht
vorstellen!“
    Entzückt bemerkte er, wie ihre Wangen sich
rosig färbten, und setzte hinzu: „Ich habe übrigens gerade Emily am Hafen
gesehen. Sie hat die Fischer gezeichnet. Ich muss sagen, deine Tochter wird
immer schöner. Ist sie wirklich schon achtzehn?“
    Sibyllas Gesicht verschloss sich. „Was ist
nun mit dem Safran? Akzeptierst du meinen Preis?“
    André unterdrückte ein Seufzen. Die
unbeschwerte Stimmung zwischen ihnen war verschwunden. Wie immer, wenn er Emily
erwähnte. Dabei wollte er Sibylla so viele Fragen über ihre Tochter

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