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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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hatte.
    „Emily, bitte sag den Eltern, dass ihr Sohn
heute noch liegen muss. Morgen darf er aufstehen. Aber es ist ausgeschlossen,
dass die Familie mit den Ait Zelten in ihr Dorf zurückkehrt. Sie müssen auf dem
Gut bleiben, bis der gebrochene Knochen wieder zusammengewachsen ist.“
    Emily ließ den Kohlestift sinken und
übersetzte der ernst lauschenden Mutter. Sabri betrachtete inzwischen die
Skizze, die sie von dem kleinen Jungen mit seinem verbundenen Arm gemacht
hatte. „Deine Zeichnung gefällt mir“, sagte er anerkennend.
    Sie lächelte glücklich. Sie mochte es, wenn
Sabri so vertraulich mit ihr redete. Das tat er allerdings nur, wenn niemand in
der Nähe war oder die Anwesenden, wie die Eltern des verletzten Jungen, weder
Arabisch noch Englisch verstanden. „Ich habe dem Kleinen das Bild als
Erinnerung an seine Tapferkeit versprochen.“ Sie strichelte weiter.
    Ringsum herrschte reges Treiben. Der Scheich
hatte André informiert, dass die Ait Zelten nach dem vorzeitigen Ende der
Safranernte in ihr eigenes Dorf zurückkehren würden, und entrüstet abgelehnt,
als André ihm trotzdem den vereinbarten Lohn zahlen wollte. Jetzt standen
überall auf dem Hof Lastenesel, die mit Zelten, Teppichen, Ausrüstung und
Kochgeschirren beladen wurden. Um den verletzten kleinen Berberjungen hatte
sich ein Kreis Kinder geschart, die seinen Verband ehrfürchtig betrachteten.
    „Emily?“, fragte der Kleine.
    Sie strichelte gerade konzentriert an den
Falten des Kopftuches seiner Mutter. „Ja, mein Junge?“
    „Warum siehst du den Hakim so komisch an,
wenn er mit dir spricht?“
    „Wie bitte?“ Entgeistert ließ sie den Stift
sinken.
    „Warum du den Hakim so anschaust!“,
wiederholte der Kleine ungeduldig. Die anderen Kinder kicherten. Auch die
Mutter lächelte Emily zu.
    „Ich zeige es dir: So.“ Er riss die Augen auf
und starrte verzückt in die Luft.
    Emily musste lachen. „Das ist nicht wahr! So
ein dummes Gesicht mache ich nicht!“
    „Was sagt er?“, mischte Sabri sich ein. „Hat
er Schmerzen?“
    „Aber nein! Er wollte nur wissen, wie lange
er den Verband tragen muss“, flunkerte Emily. In diesem Moment war sie sehr
froh, dass Sabri kein Tachelit verstand.
    „Sechs Wochen und keinen Tag weniger“,
erklärte Sabri dem Jungen mit bestimmtem Blick.
    Dieser wandte sich wieder an Emily: „Meine
Schwester guckt ihren Bräutigam auch so komisch an. Ist der Hakim dein
Bräutigam?“
    Emily schwieg verlegen und widmete sich rasch
wieder ihrer Zeichnung.
    „Schsch, alemzi, ruhig!“ Die Mutter gab dem
Kleinen einen Klaps. Sie nestelte an ihrem Halsschmuck und überreichte Emily
eine silberne Kette mit einem Anhänger aus feuerroter Koralle. „Für dich, weil
du meinem Kind geholfen hast. Die Koralle glüht in der Farbe der Liebe, so wie
dein Herz. Wenn du sie trägst, wird sie dir Fruchtbarkeit und viele Kinder
schenken.“ Feierlich legte sie Emily die Kette um.
    „Vielen Dank.“ Sie blickte verlegen zu Sabri.
Was hatte er von diesem Wortwechsel verstanden? Doch er scherzte ganz
unbefangen: „Was hat sie dir geschenkt? Ein Amulett, um mich zu verhexen?“
    Emily war froh, dass in diesem Moment Malika
aus dem Stall kam und auf sie zuging. „Gut, dass du da bist, Schwester! Kannst
du für mich die Ziegen zu Ende melken? Ich möchte zu Imma. Ich will dabei sein,
wenn der englische Hakim ihre Wunde untersucht.“
    „Geh nur! Frag meinem Bruder Löcher in den
Bauch, und mach dir keine Sorgen! Aynur wird wieder gesund, genau wie unser
Vater.“ Emily umarmte Malika.
    „Möge Allah dir deine Güte vergelten,
Schwester!“ Sie eilte davon.
    Emily packte ihre Zeichensachen zusammen und
ging zum Stall. Dort standen nicht nur die Pferde und Kühe des Gutes, sondern
jetzt im Winter auch die Ziegenherde in einem eigens eingezäunten Areal. Malika
hatte die meisten bereits gemolken. Auf dem mit Lehmziegeln gepflasterten
Milchplatz standen viele gefüllte Tonschalen. André junior goss die frische
schäumende Milch durch ein Pferdehaarsieb in Zinkkannen um, die Christian zu
dem rechteckigen Kühlbecken brachte, das André auf dem Hof neben dem Brunnen
gebaut hatte. Über eine Pumpe lief frisches kaltes Gebirgswasser in das Becken
und kühlte die warme Milch ab. Danach wurde sie vom Koch zu Laban verarbeitet,
einem säuerlichen Frischkäse, der mit Olivenöl und Fladenbrot genauso gut
schmeckte wie mit Honig und frischen Früchten.
    „Ich glaube, eure Mutter würde sich freuen,
wenn ihr sie besucht“, sagte

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