Die Loewin von Mogador
kühler Wind ins
Lager. Sie fröstelte. Sabri setzte seine Tasche auf den Boden, zog seine Jacke
aus und legte sie um Emilys Schultern. Dabei ließen seine Augen sie keine
Sekunde los. „Würden Sie sich auch in meine Hände begeben, ohne krank zu sein?“
„Ja“, flüsterte sie.
Sabri strich die Jacke fürsorglich über
Emilys Schultern glatt. „Sie waren eine großartige Assistentin, Miss Emily.
Aber jetzt sollten Sie sich hinlegen und ausruhen. Sie sehen erschöpft aus.“ Er
zögerte, dann hob er eine Hand und streichelte über ihre Wange.
Sie schmiegte sich in die warme weiche Fläche
seiner Hand. Es stimmte, sie war müde. Aber hier mit Sabri am Feuer zu stehen,
in seine Jacke gewickelt und ihm so nah, dass sie seinen Atem an ihrem Hals
spürte, war wundervoll. Sie hätte die ganze Nacht so verbringen und dem
Widerschein der letzten Flämmchen zuschauen können, die in seinen dunklen Augen
tanzten.
„Emily“, sagte er leise. „Das ist ein Name,
der wunderbar zu dir passt.“
Die beiden fuhren auseinander. Malika rannte
aus dem Haus, als wären sämtliche Dämonen der Berge hinter ihr her.
Emily erstarrte vor Angst. Vater, dachte sie.
Es geht ihm schlechter!
„Emily!“ Malika fasste die Hand ihrer
Schwester und presste sie. „Doktor Hopkins sagt, dass Baba aufwacht! Doktor bin
Abdul, gut, dass Sie da sind! Sie müssen auch mitkommen!“
Im kalten grauen Licht des heraufziehenden
Morgens, drei Tage nach dem Überfall auf Qasr el Bahia, wurde Tamra unter der
breit gewölbten Krone der alten Steineiche im Garten hinter dem Gut zur letzten
Ruhe gebettet. Der in ein weißes Leintuch gewickelte Leichnam der Greisin
wirkte winzig klein und federleicht auf der von vier Berbermännern getragenen
Bahre.
So, als wollte sie lieber in den Himmel
fliegen, als in der Erde begraben zu werden, dachte André. Er klammerte sich an
den Knauf des Gehstocks, den Frédéric ihm aus dem gerade gewachsenen Stamm
einer jungen Zeder geschnitzt hatte. Der aromatische starke Duft des Holzes
stieg ihm in die Nase und reizte seinen Magen, trotz des Tees aus Ingwerwurzel,
den Malika ihm gegen die Übelkeit gebraut hatte. Schwindelig war ihm auch, und
entsetzliche Kopfschmerzen plagten ihn.
„Das sind Symptome der Gehirnerschütterung“,
hatte Thomas ihm erklärt. „Sie nehmen bald ab. Allerdings nur, wenn Sie
konsequente Bettruhe einhalten!“
Der junge Arzt war strikt dagegen gewesen,
dass André zu Tamras Beerdigung aufstand, aber dieser hatte sich trotzdem aus
dem Bett gequält. Er wusste, wie sehr seine Frau um Tamra trauerte, und wollte
sie in der schweren Stunde des Abschieds nicht allein lassen. Die alte Dienerin
hatte Aynur fast ein ganzes Leben treu zur Seite gestanden. Sie hatte ihr die
Mutter ersetzt, war ihr bedingungslos ergeben gewesen und hatte sie länger und besser
gekannt als jeder andere Mensch.
Mit seiner freien Hand tastete André nach
Aynurs Fingern. Sie waren eiskalt. Reglos, fast erstarrt stand sie neben ihm
und löste den Blick nicht von Tamras Leichnam, der gerade in sein schmales Grab
gebettet wurde, neben den Kindergräbern von Thiyya und Izza.
Auf Aynurs anderer Seite standen Frédéric,
Christian und André junior. Malika hatte sich zu André gesellt und stützte ihn
behutsam im Rücken. Ganz langsam, damit der Schwindel ihn nicht umwarf, drehte
er den Kopf zur Seite und sah zu Emily und Sibylla. Sie hielten sich im
Hintergrund und warteten neben Thomas und Sabri bin Abdul unter dem aus
Lehmziegeln gemauerten Bogentor, das in den Garten führte. Auch die Ait Zelten
erwiesen der Toten die letzte Ehre und hatten sich in einem stummen Halbkreis
rund um die Steineiche versammelt.
Vor der Beerdigung war ihr Scheich bei André
gewesen. „Ich bin tief beschämt, weil Männer meines Volkes Tod und Verderben
über dich und die deinen gebracht haben“, hatte er gesagt und zum Zeichen
seiner Schande den Kopf vor André gesenkt. „Meine Söhne sind heute in die Berge
geritten. Ich habe ihnen befohlen, erst wieder zurückzukehren, wenn sie diese
feigen Schakale getötet haben!“
Auch die Soldaten von Kaid Samir hatten die
Umgebung des Gutes nach den Angreifern abgesucht, allerdings ohne auch nur die
geringste Spur gefunden zu haben. André erstaunte das nicht. Er kannte die
Berge um Qasr el Bahia gut und wusste, wie viele unzugängliche Höhlen und
versteckte Schluchten es dort gab, die ortsfremde Soldaten nie finden würden.
Wäre er in besserer Verfassung gewesen, wäre er selbst
Weitere Kostenlose Bücher