Die Loewin von Mogador
losgeritten, um die
Bande zu stellen, aber was den Männern von Kaid Samir nicht gelungen war, würde
vielleicht den Söhnen des Scheichs gelingen.
André fuhr zusammen, als etwas auf seine
linke Schulter fiel. Eine Heuschrecke. Angewidert schüttelte er das Tier ab und
zertrat es auf dem Boden. Die Heuschreckenplage hatte die Menschen auf Qasr el
Bahia zwar vor dem Schlimmsten bewahrt, wenn er jedoch sah, was die Insekten mit
seinem Land angestellt hatten, war ihm zum Weinen zumute. Der letzte noch nicht
geerntete Safran war verloren. Von den Pflanzen standen nur noch blassgrüne
Stummel. Die Granatapfel-, Orangen- und Olivenbäume waren nackt, die stolze
Steineiche sah wie gerupft aus.
„Wenn der Wind durch die Blätter fährt, singt
der Baum“, hatte Aynur immer gesagt. Sie liebte die alte Eiche sehr. Doch ihr
stetiges sanftes Rauschen war mit den Heuschrecken verstummt.
Als einige Berbermänner begannen, Erde auf
Tamras Leichnam zu schaufeln, erschauderte Aynur. Ein Zittern durchlief ihren
Körper. Sie stöhnte und bog sich nach hinten. Im ersten Moment glaubte André,
dass die Trauer sie überwältigte, dann sah er ihr schweißbedecktes Gesicht.
„Es geht dir nicht gut. Willst du dich nicht
wieder hinlegen? Ich schicke Doktor Hopkins zu dir“, drängte er und wollte sie
stützen, obwohl er sich selbst kaum auf den Beinen halten konnte.
„Lass mich!“ Sie wand sich unwillig, als er
ihr einen Arm um die Taille legte. „Ich habe nur etwas Kopfweh.“
„Baba hat recht, Imma, du gehörst ins Bett!“,
mischte Malika sich ein, aber Aynur schüttelte auch ihre Hand ab. Erst als die Ait
Zelten Tamras Grab ganz mit Erde bedeckt hatten, wandte sie sich um.
Sibylla hatte die Szene eifersüchtig
beobachtet. „Mir ist kalt, ich hole mir einen Schal aus dem Haus“, behauptete
sie und lief Richtung Haus bevor Emily oder Thomas reagieren konnten.
„Mach dir endlich klar, dass Aynur die
wichtigste Frau in seinem Leben ist!“, murmelte sie mit zusammengebissenen
Zähnen, stieß die Tür zu ihrem Schlafzimmer auf und scheuchte mit einer
wütenden Handbewegung eine Katze von ihrem Bett. Sie würde zurückreiten nach
Mogador. Gleich morgen früh. Und Emily würde mit ihr kommen. Sie war lange
genug auf Qasr el Bahia gewesen!
Sabri und Thomas hatten ebenfalls bemerkt,
dass es Aynur nicht gut ging. „Ich mache mir Sorgen um Sie, Madame Rouston“,
sagte Thomas, als sie den Torbogen erreichte. „Ich möchte Sie noch einmal
untersuchen.“
Aynur antwortete nicht. Sie lehnte sich
erschöpft keuchend an die Lehmmauer. Schweiß lief ihr das Gesicht und den
Körper hinunter, obwohl sie fror. Ihr Kopf schmerzte, als wollte er jeden
Moment explodieren, und sie schien keine Kontrolle mehr über ihre in Krämpfen
zitternde Rückenmuskulatur zu haben.
„Madame Rouston? Hören Sie mich?“ Thomas war
tief beunruhigt. Während André seine Energie allmählich zurückerlangte, schien
Aynurs Kraft zu schwinden.
„Ich muss mich nur ein wenig ausruhen“,
erwiderte sie mit einem gezwungenen Lächeln. „Nach dem Mittagsgebet dürfen Sie
mich noch einmal untersuchen.“
„Bitte, Hakim, Sie müssen sie gleich
untersuchen! Es geht ihr nicht gut“, flüsterte Malika Thomas zu.
Thomas musterte Aynur, die mit staksigen,
steifen Schritten zum Haus stolperte, und nickte. „Ich will nur rasch meine Tasche
holen.“
Sabri runzelte die Stirn. „Willst du, dass
ich mitkomme?“
Thomas schüttelte den Kopf. „Ich schaue sie
mir erst einmal allein an. Geh du ruhig, und kümmere dich um deine Patienten.“
Sibylla fand André am Rande seines zerstörten
Safranfeldes. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihm zu sagen, dass sie Qasr el
Bahia verlassen und nach Mogador zurückreiten würde, aber angesichts seiner
niedergeschlagenen Stimmung kamen ihr die Worte nicht über die Lippen.
„Es tut mir so leid für dich“, brachte sie hervor
und legte nach kurzem Zögern eine Hand auf seinen Arm.
Er wandte ihr das Gesicht zu, das
verschwollen und von dunklen Blutergüssen entstellt war. Auf seinem Kinn
wuchsen dunkle Bartstoppeln, und um den Kopf trug er einen dicken Verband. „Vor
drei Tagen hat hier ein lila Blumenteppich geblüht, jetzt ist alles zerstört.
Nicht eine einzige Pflanze haben die Heuschrecken verschont.“
„Vergiss nicht, dass du den größten Teil der
Ernte bereits eingebracht hast! Bald werden auf all deinen Feldern wieder Safrankrokusse
wachsen“, versuchte sie, ihn zu trösten.
„Das ist noch nicht
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