Die Loewin von Mogador
sicher.“ André lockerte
mit der Spitze seines Stocks ein paar Erdbrocken, kniete sich mit Mühe hin und
nahm sie in die Hand. „Das habe ich befürchtet: Die Biester legen ihre Eier
ab.“ Er streckte Sibylla die Handfläche entgegen. Etwas ratlos betrachtete sie
den weißlichen Schaum, der zwischen den Erdbröckchen schwamm.
„Aus diesem Schaum schlüpfen im Frühjahr die
Larven“, erklärte André. „Und dann könnte alles wieder von vorn losgehen.“
Er schleuderte die Erde zurück aufs Feld und
versuchte vergeblich, wieder aufzustehen. Rasch stützte Sibylla ihn.
„Thomas sagt, dass du dich schonen musst. Du
solltest auf seinen Rat hören. Er ist ein guter Arzt.“
André blickte über sein zerstörtes Safranfeld.
Schließlich seufzte er: „Ich will nicht mit dem Schicksal hadern. Es sind nur
ein paar Pflanzen gewesen. Meine Familie lebt, das ist das Wichtigste! Würde
ich an einen Gott glauben, würde ich jeden Tag zu ihm beten, dass er die
Verbrecher mit seinem ganzen Zorn bestraft!“
Sibylla räusperte sich. „Ich werde morgen
nach Mogador zurückkehren.“
Er fuhr herum und unterdrückte ein
schmerzvolles Stöhnen. In seinem Gesicht malte sich Überraschung und, zu
Sibyllas heimlicher Freude, Bedauern.
„Ich bin strikt dagegen“, erklärte er
bestimmt. „Solange die Angreifer noch frei herumlaufen, ist die Gegend um Qasr
el Bahia nicht sicher.“
„Morgen früh reiten die Soldaten des Kaids
zurück. Ich werde mich ihnen anschließen“, erwiderte sie. „Und ich kann deinen
Safran mitnehmen. Darüber wollte ich eigentlich mit dir reden. Du bist noch zu
krank, um zu reiten, und auf dem Gut ist die Ernte nicht sicher, solange diese
Verbrecher noch ihr Unwesen treiben. Also, was hältst du von meinem Angebot?“
Er schnaubte ungehalten. „Angebot, dass ich
nicht lache! Dieses Vorhaben ist typisch für dich, Sibylla! Du planst alles,
wie du es für richtig hältst. Was andere dabei empfinden, interessiert dich
nicht!“
Sie blinzelte in die Sonne, die über den
blauen Gipfeln des Atlas stand und ihr goldenes Licht über die schwarzen
Zedernwälder ergoss. „Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun, André. Emily
geht es gut. Du wirst von Thomas bestens versorgt. Aber wenn ich deinen Safran
nach Mogador bringe und ihn dort sicher für dich verwahre, habe ich auch etwas
beigetragen, um euch nach all den schlimmen Ereignissen hier ein bisschen zu
helfen.“
Er starrte auf seine staubigen
Stiefelspitzen. „Gut. Ich respektiere deine Entscheidung.“
Sie schluckte. „Ich werde übrigens Emily
mitnehmen!“
Er fuhr herum. „Will sie das denn?“
Sibylla fühlte sich herausgefordert. „Ich
habe sie noch nicht gefragt, aber sie wird mit mir kommen.“
„Unsere Tochter ist erwachsen. Sie weiß, was
sie will, und ist alt genug, selbst zu entscheiden“, widersprach er scharf.
„Willst du mir vorschreiben, wie ich mit
meiner Tochter umzugehen habe?“
„Denk nach, Sibylla, dann weißt du, dass ich Recht
habe! Wann willst du aufhören, sie zu bemuttern?“
Sie schwieg. Es wäre so leicht gewesen, jetzt
einen Streit vom Zaun zu brechen, André all den Unwillen, die Verletztheit und
Eifersucht, die sie so viele Jahre in sich vergraben hatte, an den Kopf zu
werfen. Aber um Emilys willen schwieg sie.
„Ich möchte Emily wieder bei mir haben“,
erklärte sie widerstrebend. „Sie ist jetzt ein Jahr von zu Hause fort. Kannst
du dir vorstellen, wie sehr ich sie vermisst habe?“
„Oh ja, das kann ich!“, antwortete er
bedeutungsvoll.
Sie wich seinem Blick aus und senkte den
Kopf. Eine Weile standen sie schweigend nebeneinander. Schließlich nahm André
ihre Hand und drückte sie sanft. „Wann sehen wir uns wieder?“
„In Mogador natürlich, um den Preis für
deinen Safran zu verhandeln.“
„Das meine ich nicht, Sibylla. Willst du denn
nie mit mir über die Dinge sprechen, die immer noch zwischen uns stehen? Können
wir sie nie bereinigen?“
Tränen stiegen ihr in die Augen. „Du hast
Aynur. Ich habe gesehen, wie viel sie dir bedeutet. Wir können die Zeit nicht
zurückdrehen, André. Wir können nichts ungeschehen machen.“ Sie wandte sich ihm
zu, hob eine Hand und strich mit den Fingerspitzen ganz vorsichtig über sein
zerschundenes Gesicht. „Ich werde jetzt Emily suchen und ihr sagen, dass wir
abreisen.“
„Der Kleister ist fast hart“, stellte Sabri
zufrieden fest und tastete den Verband vorsichtig ab, den er dem kleinen
Berberjungen angelegt
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