Die Loewin von Mogador
Sibylla hatten es sich auf einer
Decke auf dem Erdboden bequem gemacht, genossen die wärmende Mittagssonne und
verzehrten eine Mahlzeit aus Fladenbrot, Ziegenkäse, Oliven und getrockneten
Datteln.
Sibylla warf den Sperlingen, die in ihrer
Nähe herumhüpften, ein paar Brotkrumen zu, während sie nach den richtigen
Worten suchte. „Es ist schön, wenn zwei Menschen sich gefunden haben. Ich
möchte aber, dass dir eines klar ist, Emily: Auch wenn ihr beide euch eurer
Gefühle sicher seid, werdet ihr viele Menschen gegen euch haben.“
„Dich auch, Mutter?“ Emily blickte sie ernst
an.
Sibylla wusste nicht, ob sie lachen oder sich
ärgern sollte. Ihre Tochter hatte mit drei kleinen Worten geschafft, sie in die
Enge zu treiben. Sie musste Stellung beziehen, obwohl sie sich selbst noch
keine klare Meinung gebildet hatte.
„Natürlich nicht!“, betonte sie. „Dennoch
mache ich mir Sorgen. Ich zweifle nicht an Doktor bin Abdul. Er ist ein
aufrichtiger Mann. Aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass du nicht
ihn allein heiratest, sondern in seine Familie? Und die hat eine andere Braut
für ihren Sohn im Sinn, das ist in Mogador bekannt. Könntest du damit leben,
wenn seine Familie dich ablehnt?“
„Warum malst du so schwarz, Mutter? Du weißt
doch gar nicht, ob sie mich ablehnen werden!“, erwiderte Emily gereizt.
Sibylla nahm ein paar getrocknete Datteln von
der Serviette, die zwischen ihnen ausgebreitet lag, und bot Emily davon an.
„Probier mal, sie schmecken ausgezeichnet.“ Versöhnlich fuhr sie fort: „Ich bin
Sabris Vater einige Male im Palast des Statthalters begegnet. Hadj Abdul bin
Ibrahim hält Distanz zu den Ungläubigen in diesem Land. Als Leiter der
Koranschule und als Mann, der die große Pilgerfahrt nach Mekka absolviert hat,
ist er seiner Religion besonders verpflichtet. Außerdem ist die Tochter des
Kadis als Braut eine ausgezeichnete Wahl. Ihre Familie gehört zu den
angesehensten der Stadt, und-“
„Hör auf, Mutter!“ Emily hielt sich beide
Ohren zu. „Hör auf, mir mein Glück kaputt zu reden!“
„Emily!“ Bestürzt fasste Sibylla sie am Arm.
„Das wollte ich doch gar nicht!“
„Doch, Mutter. Du versuchst, mir den Mann zu
nehmen, den ich liebe. Aber das wird dir nicht gelingen!“
„Ich versuche nur, dir klarzumachen, dass für
eine Ehe noch andere Dinge als Liebe wichtig sind. Die Herkunft-“
„Hast du deshalb Mr. Hopkins geheiratet und
dir die Liebe für eine Affäre mit Vater aufgespart?“, unterbrach Emily sie
schneidend.
„Ich glaube, du vergisst dich!“ Um nicht zu
zeigen, wie sehr die Worte sie gekränkt hatten, widmete Sibylla sich ihrem
Essen und beachtete ihre Tochter nicht mehr.
Emily schossen die Tränen in die Augen. Eben
war sie noch so verliebt und glücklich gewesen, aber jetzt schlichen sich
Zweifel ein. Hatten sie und Sabri wirklich eine Chance, oder flüchteten sie
sich nur in eine Traumwelt?
„Sabri liebt mich“, stieß sie verzweifelt
hervor. „Er will keine andere, er will mich! Warum hilfst du uns nicht,
glücklich zu werden, Mutter? Du könntest bei seinem Vater ein gutes Wort für
uns einlegen.“
„Mit dem Glück ist das so eine Sache“,
sinnierte Sibylla leise und dachte an André. „Heute glaubst du, ohne diesen
einen Mann nie wieder glücklich sein zu können, und morgen stellst du fest,
dass das Schicksal andere Pläne mit dir hatte.“
„Bitte, Mutter!“, wiederholte Emily
flehentlich.
Der Hauptmann näherte sich. „Können wir
weiter, Mrs. Hopkins?“
„Sofort.“ Sibylla wedelte ungeduldig mit der
Hand, und der Mann zog sich zurück.
Emily packte die Essensreste in einen
Lederbeutel. Während Sibylla die Decke zusammenfaltete, überlegte sie
fieberhaft, wie sie ihre Tochter davon überzeugen konnte, dass sie ihr Bestes
wollte. Vielleicht musste sie Sabri erst einmal eine Chance geben und nicht
sofort verlangen, dass Emily ihre große Liebe aufgab.
„Wenn Doktor bin Abdul wieder in Mogador
ist“, setzte sie an, „werde ich ihn einladen und in Ruhe mit ihm sprechen –
auch über seine arabische Braut. Wenn er mich überzeugt, dass du bei ihm gut
aufgehoben bist und er dir nicht das Herz brechen wird, sehen wir weiter.“
„Danke, Mummy!“ Emily küsste ihre Mutter.
„Du könntest auch erst einmal nach London
reisen, dein Studium aufnehmen und die Welt kennenlernen“, konnte Sibylla sich
nicht verkneifen, vorzuschlagen, und obwohl sie sah, wie Emilys Miene sich
verfinsterte, fügte sie
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