Die Loewin von Mogador
sich ebenfalls um
und sahen Emily, die sich von ihrem Pferd beugte und Sabri vor allen Augen
hingebungsvoll auf den Mund küsste.
„Da brat mir doch einer einen Storch!“,
murmelte Thomas verblüfft.
André wendete sich Sibylla zu. „Hast du davon
gewusst?“
Sie hob hilflos die Schultern und schwieg.
„Also doch!“, brummte er. „Und wann hattest
du vor, mir davon zu erzählen?“
„Gewusst habe ich es nicht, nur vermutet“,
verteidigte sie sich.
„Frauen!“, schnaubte André. „Immer müssen sie
Geheimnisse haben!“ Er packte seinen Gehstock und stapfte zu Emily.
Sibylla blickte ihm besorgt nach. „Hat Doktor
bin Abdul dir gegenüber eigentlich seine Absichten in Bezug auf Emily erklärt?“,
fragte sie ihren Sohn.
„Darüber würde er wohl eher mit dir und mit
Monsieur Rouston reden. So, ich werde wieder nach meiner Patientin sehen. Auf
Wiedersehen, Mutter.“ Thomas half Sibylla beim Aufsitzen und eilte davon, bevor
sie ihm noch mehr Fragen zu Sabri und Emily stellen konnte.
Emily und ihr Vater hatten sich mit Tränen in
den Augen voneinander verabschiedet. André gab ihrem Pferd einen Klaps, und
wenig später war der kleine Trupp davongetrabt. Langsam, auf seinen Stock
gestützt, folgte André ihnen zum Tor. Sehen konnte er die Reiter nicht mehr,
aber er hörte noch eine Weile Stimmen, den Hufschlag ihrer Pferde und Geröll,
das den Hang hinunterkollerte. Dann war es ruhig.
Plötzlich fühlte er sich sehr allein. Nicht
nur seine Tochter, auch Sibylla fehlte ihm. Er erinnerte sich an das ungläubige
Glücksgefühl, als er aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war und sie auf seiner
Bettkante gesessen hatte. Einige verwirrende Sekunden hatte er sogar vergessen,
dass es Aynur gab. Aber Sibylla hatte recht: Sie konnten die Zeit nicht
zurückdrehen. Er würde weiter hier auf Qasr el Bahia mit Aynur und ihren
gemeinsamen Kindern leben, und manchmal auch mit Emily, während Sibylla in
Mogador blieb – seine Geschäftspartnerin, die Mutter seiner Tochter Emily, die
Frau, deren Liebe er verloren hatte.
Als er sich umdrehte, war der Hof fast leer.
Nur Sabri bin Abdul stand noch da und starrte mit verlorenem Gesichtsausdruck
in die Ferne. Kurzentschlossen steuerte André auf ihn zu. „Doktor bin Abdul,
haben Sie einen Moment Zeit?“
„Natürlich, Monsieur Rouston.“ Sabris Blick
wurde wachsam. André kam ohne Umschweife zur Sache: „Meine Tochter mag Sie,
Doktor.“
Sabris Augen leuchteten auf. „Ich mag sie
auch – nein, richtig ist: Ich liebe sie.“
„Dann meinen Sie es also ernst mit ihr?“
„Selbstverständlich, Monsieur Rouston.“
„Und was würde Ihre Familie zu dieser
Verbindung sagen?“
Sabri zögerte nicht eine Sekunde mit der
Antwort: „Es wird nicht leicht, sie zu überzeugen, aber ich werde eine Lösung
finden. Emily ist die Frau, die ich heiraten werde.“
André lächelte zufrieden. Es gefiel ihm, dass
der junge Mann weder Ausflüchte noch Entschuldigungen vorbrachte. „Wenn Emily
Sie will – und so sah es gerade aus –, meinen Segen haben Sie.“ Er klopfte
Sabri auf die Schulter. „Allerdings schien es mir, als müssten Sie Emilys
Mutter noch überzeugen.“
„Ich-“, begann Sabri.
„Vater! Hakim bin Abdul!“ Malika rannte quer
über den Hof auf sie zu. „Ihr müsst sofort kommen! Imma geht es schlecht. Es
ist, als habe der Fürst des Bösen von ihr Besitz ergriffen!“
„Du hast dich also in Doktor bin Abdul
verliebt“, stellte Sibylla fest und reichte ihrer Tochter ein Stück Fladenbrot.
Die Erwähnung seines Namens genügte, und
Emily fing an zu strahlen. „Ja, Mutter. Und er liebt mich auch.“ Sie häufte
sich einen Berg frischen weißen Ziegenkäse auf ihr Brot und biss herzhaft
hinein.
Die kleine Reitergruppe hatte die Hälfte der
Strecke unbehelligt zurückgelegt und machte jetzt am Oued Igrounzar Rast. Das
steinige Ufer war von leblosen Heuschrecken übersät, die im vom Winterregen
wasserreichen Fluss ertrunken und von der Strömung zurück an Land gespült
worden waren. Als die Soldaten die Pferde zum Trinken führten, standen die
Tiere bis über die Fesselgelenke in toten Insekten. Der Anblick ließ Emily und
Sibylla erschaudern, besonders wenn der Wind durch die gepanzerten Leiber fuhr
und es gespenstisch raschelte und knisterte. Auf ihrem Ritt hatten sie nur noch
wenige lebende Heuschrecken gesehen. So schnell und unerwartet die Plage diesen
Landstrich heimgesucht hatte, so schnell war sie auch wieder verschwunden.
Emily und
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