Die Loewin von Mogador
schwer. Fast alle hatten sich im Hof eingefunden, um
ihr und Sibylla Lebewohl zu sagen.
„Wann kommst du wieder?“, klagte André
junior, der gar nicht von Emilys Seite weichen wollte.
„Bald.“ Sie strich ihm tröstend über das
Haar. „Ich muss euch doch wieder bei der Safranernte helfen.“
Aynur war im Haus geblieben. Thomas hatte ihr
strikte Bettruhe verordnet, und Malika, die nicht von der Seite ihrer Mutter
weichen wollte, fehlte ebenfalls. Emily strich mit der Handfläche über das
weiche Leder der Jacke, die Malika ihr zum Abschied geschenkt hatte. Sie war
bunt bestickt und mit Lammfell gefüttert und würde sie während des langen
Rittes warm halten. „Damit du mich nicht vergisst, Schwester“, hatte Malika
gesagt.
„Versprich mir, dass du mich bald in Mogador
besuchst!“, hatte Emily erwidert.
„Spätestens zu deiner Hochzeit mit dem
arabischen Hakim. Du weißt ja, was ich aus deiner Hand gelesen habe: Wenn ihr
stark bleibt…“ Sie hatte Emily noch einmal umarmt und war wieder im Zimmer
ihrer Mutter verschwunden.
„Darf ich dir beim Aufsteigen helfen?“
Frédéric stand neben Emilys Pferd. Er beugte sich vor und hielt ihr die
verschränkten Finger entgegen. Sie setzte den linken Fuß hinein, legte die
Hände an den Sattel, und er stemmte sie mit Leichtigkeit empor.
„Du bist stark!“ Sie setzte sich zurecht.
Er grinste schelmisch und half ihr, den
Stiefel in den Steigbügel zu setzen. „Schade, dass du meine Schwester bist!
Eine wie dich hätte ich gern zur Braut gehabt.“
André winkte ihm. „Frédéric, holst du die
Säcke mit dem Safran aus dem Turm?“
Er lief davon und kehrte wenig später mit
vier fest verschnürten Leinensäcken zurück, die er neben dem Lastenmaultier auf
den Boden stellte. Mit Hilfe von Lederriemen waren an der rechten und linken
Seite des Tieres zwei Holzkisten festgeschnallt, die zum Schutz vor
Druckstellen mit einer Wolldecke abgepolstert waren. Frédéric packte die Säcke
in die Kisten. Als er fertig war, schloss André die Deckel und prüfte, ob die
Gurte festsaßen.
„Vielen Dank, dass du den Safran für mich in
Sicherheit bringst! Wenn mir nicht so schwindelig wäre, würde ich selbst
reiten“, wandte er sich an Sibylla.
„Ich werde dein rotes Gold unbehelligt nach
Mogador bringen. Wir haben schließlich eine starke Leibgarde dabei.“ Sie
blickte zu den sechs bewaffneten Reitern der Stadtwache, die bereits
aufgesessen waren und am Tor warteten. André ging schwer auf seinen Stock
gestützt zum Hauptmann. „Ich lege nicht nur das Leben dieser beiden Frauen in
Ihre Hände, Hauptmann, sondern auch den Ertrag eines ganzen Jahres harter
Arbeit“, sagte er ernst.
„Die Frauen und der Safran sind bei mir so
sicher wie im Schoß ihrer Mutter“, versicherte der Mann und klopfte an seinen
Gewehrkolben. „Können wir losreiten?“
„Sofort.“ André ging zurück zu Sibylla. „Es
war schön, dass du da warst, auch wenn es nur kurz war.“ Um zu verbergen, wie
nah ihm der Abschied ging, prüfte er noch einmal, ob der Sattelgurt ihres
Pferdes stramm gezogen war.
Für den Bruchteil einer Sekunde legte sie
ihre Hand auf seine Schulter. „Das Gut ist wunderschön. Das letzte Mal, als ich
hier war, war es eine Ruine. Du und Aynur, ihr habt viel daraus gemacht.“
„Qasr el Bahia sollte dein Zuhause werden“, entfuhr
es ihm. „Du weißt, dass ich mir das gewünscht habe.“
Sibylla strich ihre Reithandschuhe glatt.
„Ja, André, ich weiß. Aber das Leben hat anders entschieden. Wenn Aynur wieder
gesund ist, möchte ich, dass deine ganze Familie mich in Mogador besucht. Ihr
seid mir herzlich willkommen.“
Sibylla hatte sich von Andrés Frau
verabschiedet und ihr für ihre Gastfreundschaft gedankt. Aber sie war nicht
sicher, ob Aynur sie überhaupt bemerkt hatte. Thomas hatte sie in das ruhigste
Zimmer des Gutes legen lassen, so weit weg von der Unruhe auf dem Hof wie
möglich, denn sie hatte hohes Fieber und litt unter starken Schmerzen. Thomas
hatte seiner Mutter gestanden, dass er sich große Sorgen machte, weil die Wunde
nicht heilen wollte, und Sibylla hoffte ehrlich, dass Aynur, die ihr Leiden so
tapfer ertrug, bald wieder gesund wurde.
Auch Thomas und Sabri befanden sich auf dem
Hof, um sich zu verabschieden. Sie winkte ihren Sohn herbei. „Gibst du deiner
Mutter einen Abschiedskuss und hilfst ihr beim Aufsitzen?“
„Nanu!“, rief in diesem Moment André. „Das
sind ja ganz neue Entwicklungen!“
Sibylla und Thomas drehten
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