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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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hoffnungsvoll hinzu: „Mit etwas Abstand erscheint so
manches aus einem anderen Blickwinkel.“
    „Was du auch versuchst, Mutter: Du wirst
Sabri und mich nicht trennen!“ Emily wandte sich um und stapfte zu ihrem Pferd.
     
    „Sabri, bitte halte die Kerze etwas näher an
die Wunde!“
    Thomas beugte sich über Aynur und inspizierte
ihren verletzten Arm, so gut es in dem flackernden Licht möglich war. Draußen
herrschte heller Tag, aber er hatte die Fensterläden der Kammer geschlossen.
    „Was ist hier los? Warum ist es so dunkel?
Und frische Luft bekommt sie auch nicht!“, bemerkte André irritiert. Er kam
erst jetzt ins Krankenzimmer, weil er wegen des Schwindels und der
Kopfschmerzen nicht so schnell laufen konnte wie Sabri. Außerdem hatte er noch
Malika beruhigt, die völlig aufgelöst vor der Kammer stand, weil Thomas sagte,
jede Person mehr im Zimmer würde ihrer Mutter Qualen bereiten.
    „Schsch, Monsieur Rouston!“, flüsterte
Thomas. „Lärm verursacht ihr Schmerzen, aber Stille und Dunkelheit tun Ihnen
gut, nicht wahr, Madame?“ Er lächelte Aynur zu.
    Die Krämpfe, die bei Andrés Eintreten durch
ihren schmalen Körper gezuckt waren, hatten nachgelassen. Sie lag ruhig.
Allerdings wirkte ihr Rücken brettsteif, wie zwischen zwei Pflöcke gespannt.
    André tastete sich zum Kopfende des Bettes
vor. Der Anblick seiner Frau, deren hübsches Gesicht zu einer grausigen Maske
erstarrt war, das Gebiss unter den hochgezogenen Lippen entblößt, versetzte ihm
einen eisigen Schrecken. Diesen Ausdruck kannte er nur zu gut. Er hatte ihn bei
verwundeten Kameraden im Algerienkrieg oft genug gesehen.
    „Der Doktor hilft dir, ma chère“, flüsterte
er. „Hab keine Angst!“ Sachte streichelte er mit seinen Fingerspitzen über ihre
schweißbedeckte Stirn. Sofort verkrampfte sich ihr Nacken, ihr Kopf bog sich
zurück wie auf einer Streckbank. Hastig nahm André die Finger wieder weg. Er
war bis ins Mark erschüttert. Nur an den Augen erkannte er seine Frau noch.
Tiefschwarze Augen, in denen die Qual stand, der sie nicht entkommen konnte.
Seit er das Zimmer betreten hatte, waren ihm diese Augen gefolgt, starrten ihn
unverwandt an. Sie wollte ihm etwas sagen, mit ihrem Blick, der ihn, ohne zu
blinzeln, festhielt, und er ahnte auch, was es war. Aber die Erkenntnis
schreckte ihn so sehr, dass er sie nicht wahrhaben wollte.
    „Sabri, bitte gib mir die Flasche mit
Silbersalpeter aus meiner Tasche! Ich möchte die Wunde noch einmal reinigen.
Außerdem brauche ich frisches Verbandszeug“, raunte Thomas.
    Der junge arabische Arzt reichte ihm das
Gewünschte. „Ich habe noch das Chininpulver geholt – gegen das Fieber.“
    „Eine gute Idee!“ Thomas versorgte Aynurs
Wunde mit wenigen vorsichtigen Handgriffen, während Sabri ihm assistierte und
André die Kerze in seiner zitternden Hand hielt. Er schirmte sie sorgfältig ab,
um Aynur mit dem Licht keine unnötigen Qualen zu verursachen. Trotzdem wurde
ihr zarter Körper von Krämpfen erschüttert, sobald Thomas sie auch nur leicht
berührte.
    Lang vergessene Erinnerungen suchten André
heim, an hilflose Chirurgen und Wundärzte am Rande der Schlachtfelder, an
fassungslose und entsetzte Soldaten, wenn sie das qualvolle Sterben ihrer
Kameraden mitansehen mussten. Aynurs Augen saugten sich an ihm fest, die
Pupillen geweitet, wie in einem stummen Schrei. Sie ahnte, was ihr bevorstand,
und sie bat ihn um Hilfe. Tränen schossen ihm in die Augen. Er senkte den Kopf
und strich ihr sachte über das Haar. „Ich weiß es doch, ma chère“, flüsterte
er. „Ich weiß, was du von mir willst.“
     
    Etwas später stand er mit Thomas und Sabri
vor dem Krankenzimmer. Er war bleich wie der Tod und musste sich an die Wand
lehnen. Malika hatte er unter dem Vorwand, dass sie Tee für ihre Mutter kochen
sollte, weggeschickt. „Ich möchte, dass Sie offen mit mir reden, Doktor Hopkins
und Doktor bin Abdul. Gibt es noch irgendetwas, das wir für meine Frau tun
können?“
    Thomas blickte zu Sabri. „Was denkst du, mein
Freund?“
    Der junge Mediziner wiegte skeptisch den
Kopf. „Konvulsionen im verletzten Arm, Risus sardonicus und eine tonische
Anspannung der Rückenmuskulatur, dazu hohes Fieber, dunkel verfärbte Wundränder
und eine stark erhöhte Reizempfindlichkeit. Die Wunde hat sich infiziert.“
    Thomas nickte langsam. „So lautet auch meine
Diagnose.“
    „Tetanus also“, folgerte André. „Ist eine
Amputation des Armes noch möglich?“
    Die beiden Ärzte blickten ihn

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