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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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die Franzosen
ihre Kanonen auf Mogador abgeschossen hatten, und vor zwei Jahren hatten die
Spanier sich nach blutigen Kämpfen die Stadt Tétouan im Norden einverleibt. Wie
Ratten nagten die Ungläubigen an seinem geliebten Land und diktierten dem
Herrscher jeden Schritt. In Mogador begegnete er ihnen überall, am Hof des
Kaids, im Hamam, sogar in die Moschee waren einige von ihnen eingedrungen, und
nun hatte sein eigener Sohn sie in seine Familie gebracht! Und seine Frauen
hatten ihm dabei geholfen!
    Almaz hatte ihn stumm beobachtet. Sanft
umfasste sie seinen rechten Fuß, legte ihn in ihren Schoß und begann, ihn
behutsam zu massieren. „Allah ist barmherzig. Er will, dass du unserem Sohn und
seiner Ehefrau vergibst. Du weißt doch: Der schlimmste Mensch ist der, der
keine Entschuldigung annimmt, keine Sünde deckt und keinen Fehler vergibt.“
    „Belehre du mich nicht mit Weisheiten, du
Tochter von Ungläubigen!“, knurrte er.
    Almaz erwiderte nichts und massierte weiter
seinen Fuß. Hadj Abdul seufzte. „Du wirst schon sehen, was du vom
Ränkeschmieden hast, Frau!“, brummte er und legte auch seinen anderen Fuß in
Almaz‘ Schoß. „Jede Schwiegermutter bekommt die Schwiegertochter, die sie
verdient!“
     
    Qasr el Bahia im Mai 1862
     
    André hockte sich neben die Ackerfurche, die
Christian gerade gepflügt hatte, und zerkrümelte eine Handvoll Erde. „Auch hier
- keine Larve. Es sieht tatsächlich aus, als hätten wir die Plage überstanden.“
Über sein abgemagertes Gesicht zog ein Lächeln der Erleichterung. Er stand auf
und klopfte seinem zweitältesten Sohn auf die Schulter. „Das muss gefeiert
werden! Malika hat etwas besonders Gutes gekocht: Lammschulter mit
karamellisierten Zwiebeln.“
    Der Fünfzehnjährige wandte ihm den Rücken zu
und machte sich am Geschirr des Maultiers zu schaffen. „Dieses Essen hat Imma
auch oft gekocht, und bei ihr hat es besser geschmeckt.“
    André legte ihm eine Hand auf den Rücken.
„Wir trinken ein Glas Wein zum Essen. Ich stifte eine Flasche von meinen
französischen Vorräten. Du arbeitest auf dem Gut wie ein Mann, das muss belohnt
werden.“
    Christian drehte sich nicht um. „Sind wir hier
fertig, Baba? Kann ich das Maultier abschirren?“
    „Geh nur!“ André sah dem Jungen nach, wie er
mit hochgezogenen Schultern neben dem Maultier in Richtung Hoftor stapfte.
    Der Überfall auf Qasr el Bahia vor einem
halben Jahr hatte sie alle verändert. Christian war still und in sich gekehrt,
Frédéric stürzte sich mit verbissener Wut in die Arbeit auf dem Gut, André
junior hatte seine kindliche Fröhlichkeit verloren, und Malika versuchte nach
Kräften, Aynur zu ersetzen.
    André blickte am Gut vorbei zu der alten
Steineiche. Jeden Morgen stattete Malika den Gräbern von ihrer Mutter, ihren
Schwestern und Tamra einen Besuch ab und verteilte kleine Sträuße mit duftenden
Kräutern und Blumen darauf, die André junior gepflückt hatte. Der Kleine hielt
sich viel bei seiner Schwester auf. Zusammen hatten sie auch die
Grabeinfassungen aus Feldsteinen angelegt.
    Irgendwie versuchen wir alle, ins Leben
zurückzufinden, dachte André. Und früher oder später wird uns das auch
gelingen.
    Auch bei ihm hatten die schlimmen Ereignisse
Spuren hinterlassen. Äußerlich sah man nicht mehr viel außer einer schmalen
Narbe an seiner Stirn. Wie sein ältester Sohn suchte er Vergessen in der
Arbeit. Aynur fehlte nicht nur seinen Kindern, sondern auch ihm. Er vermisste
es, sich mit ihr über die Belange des Alltags auszutauschen, mit ihr zu lachen
oder zu streiten, und nachts vermisste er die Wärme und die Nähe ihres Körpers.
    André wusste, dass er nie seinen Frieden mit
ihrem qualvollen Tod machen würde. Aber er hoffte, dass endlich wieder der
Alltag auf Qasr el Bahia einkehrte. Jetzt, da auch die letzten Larven, die der
Heuschreckenschwarm in seinen Feldern abgelegt hatte, geschlüpft und
davongeflogen waren.
    Normalerweise hätten sie im nächsten Monat
mit der Gerstenernte begonnen, aber dieses Jahr hatte er nicht ausgesät, um den
Heuschreckenlarven keine Nahrung zu bieten. Im späten Frühling, als es warm
wurde und die Luft feucht vom Regen war, waren sie in Mengen geschlüpft und
hatten die Menschen auf Qasr el Bahia wieder an die große Plage des letzten
Herbstes erinnert. Aber nach wenigen Tagen hatte die Heimsuchung geendet. Ohne
ausreichend Nahrung mussten sie weiterziehen, und bald waren sie wie der große
Schwarm im letzten Herbst mit dem Wind in Richtung

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