Die Loewin von Mogador
von den
Plänen gewusst?“
Sabris Mutter schüttelte den Kopf. „Mein Sohn
hat seinem Vater einen Brief hinterlassen, in dem er ihm mitteilt, dass er nach
England reisen würde, um sich als Arzt fortzubilden. Er hat geschrieben, dass
er die Braut, die sein Vater ausgewählt hat, nicht heiraten wird. Aber er hat
nichts von einer anderen Hochzeit erwähnt.“
„Unser Gebieter ist sehr erzürnt über diesen
Brief“, warf die erste Frau mit einem Hauch von Triumph in der Stimme ein. „Es
war sehr demütigend für ihn, dem Kadi diese Nachricht zu überbringen. Unser
Gebieter hat es geschafft, den Termin für die Hochzeit zu verschieben, aber er
musste der Mahr für die Braut viele Dirham hinzufügen.“
„Sabri ist bereits verheiratet. Die Hochzeit
mit der Tochter des Kadis wird nicht mehr stattfinden“, entgegnete Sibylla
bestimmt. „Stimmen Sie mir zu, Sayyida Almaz?“
„Die Meinung der abessinischen Konkubine
zählt nicht. Der Herr dieses Hauses entscheidet!“, warf die Alte mit knarziger
Stimme ein.
„Dann werde ich meine Tochter nie wiedersehen
und Sie, Sayyida Almaz, werden Ihren Sohn nie wiedersehen. Meine Tochter hat
mir geschrieben, dass sie und Sabri nur nach Hause zurückkehren, wenn Hadj
Abdul ihrer Verbindung zustimmt.“ Sibylla gab Nadira einen Wink. Diese reichte
ihr Emilys Brief, und sie las ihn vor.
Danach herrschte tiefe Stille. Dann
schluchzte Almaz laut auf. Sabris Schwestern saßen wie erstarrt auf ihren
Plätzen. Nur das Baby gluckste unberührt von der allgemeinen Anspannung und
angelte mit den Fingern nach den Ohrringen seiner Mutter.
Sibylla sagte eindringlich: „Unsere Kinder
lieben sich, und wenn wir ihnen nicht zeigen, dass wir sie auch lieben, werden
sie uns verlassen!“
„Liebe! Ein großes Wort!“, rief die erste
Frau aus. „Aber Ehre ist auch ein großes Wort. Und die Ehre der Tochter des
Kadis wurde durch diese beiden Unseligen beschmutzt!“
„Bitte, Sayyida Almaz!“, drängte Sibylla, die
plötzlich fürchtete, dass Sabris Mutter sich der Meinung der ersten Frau
anschließen würde. „Sie wollen doch Ihren Sohn wiedersehen, und ich will nicht
auf meine Tochter verzichten. Bitte schreiben Sie mit mir an unsere Kinder, und
versichern Sie ihnen, dass sie bei ihren Eltern immer willkommen sind!“
„Wir wollen unseren Bruder nicht verlieren“,
ergriff die älteste Schwester plötzlich laut das Wort, und die anderen nickten
nachdrücklich.
Almaz wischte sich mit einem Zipfel ihres
Schleiers über die Augen. „Sie haben recht, Sayyida Sibylla“, brachte sie
schließlich hervor. „Ich will meinen Sohn wiedersehen. Wir werden unseren
Kindern sofort einen Brief schreiben!“
„Die Hochzeit unseres Sohnes Sabri mit der
Tochter des Kadis wird nicht stattfinden, mein Gemahl. Aber es wird eine andere
Hochzeit geben“, verkündete Almaz am selben Abend. Sibylla hatte ihr geraten,
den Herrn des Hauses vor vollendete Tatsachen zu stellen, und sie gab sich alle
Mühe, entschlossen zu klingen.
Hadj Abdul lag bereits bequem auf dem mit
vielen Kissen bedeckten Bett, nackt unter seinem langen weißen Hemd hatte er
seiner Lieblingsfrau voller Vorfreude beim Entkleiden zugesehen und eine Shisha
geraucht.
Jetzt allerdings wuchs ihm eine irritierte
Falte zwischen den Brauen. „Hat Allah dir den Verstand geraubt, Frau? Was
redest du da?!“
Über seinen Sohn wollte er zurzeit nicht
nachdenken. Dass Sabri wegen der bevorstehenden Hochzeit mit der Tochter des
Kadis nach England geflohen war, kränkte ihn sehr. Davon abgesehen hatte die
Flucht ihm eine Menge Unannehmlichkeiten eingebracht. Auf dem Souk, im Hamam,
in der Moschee – egal, wo er erschien, bedachten die anderen Männer ihn mit
geringschätzigen Blicken. Er hatte das Gefühl, sie tuschelten über ihn, sobald
er ihnen den Rücken zuwandte, und der Kadi hatte nach dem letzten Freitagsgebet
in der Teestube sogar verlauten lassen, dass ein anderer Bräutigam vielleicht
passender für seine Tochter wäre.
Dass er das wagt, nachdem ich die Mahr für
seine Tochter verdoppelt habe, dachte Hadj Abdul und saugte grimmig an seiner
Pfeife. Und jetzt kam auch noch Almaz und redete dummes Zeug!
„Schweig Frau, und komm zu mir!“, verlangte
er und klopfte mit seiner freien Hand einladend auf das Bett.
Aber Almaz, seine sanfte Lieblingsfrau,
dachte nicht daran. Sie ließ die Haarbürste sinken und schaute ihn eindringlich
an. Das flackernde Kerzenlicht ließ ihr schönes Gesicht wie eine steinerne
Maske wirken.
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