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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Khol-umrahmten Augen neugierig entgegen. Sibylla vermutete, dass es sich um
drei von Sabris sechs Schwestern handelte. Die Älteste von ihnen mochte so alt
wie Emily sein. Sie hatte ein Baby auf dem Schoß. Zu ihren Füßen saß ein
Kleinkind und lutschte vergnügt an einer kandierten Dattel. Schließlich gab es
in einem Lehnstuhl noch eine in eine Decke gehüllte Alte, die Sibylla aus
milchigen blinden Augen entgegenstarrte – Sabris Großmutter. Ihre Nasenflügel
vibrierten misstrauisch, als versuchte sie, zu riechen, ob von den fremden
Besucherinnen Gefahr ausging.
    Die Frauen empfingen Sibylla schweigend und
gemessen an der überschwenglichen Freundlichkeit, die ihr sonst in arabischen
Häusern begegnete, reserviert. Schließlich stand die Mutter des Mädchens vor
ihnen, das dem Sohn des Hauses so sehr den Kopf verdreht hatte, dass er Ehre
und Anstand vergaß. Doch Sibylla war entschlossen, sich von dem kühlen Empfang
nicht entmutigen zu lassen.
    „As-salmu alaikum“, grüßte sie freundlich und
trat vor den Lehnstuhl der Alten, um ihr als Erster die Ehre zu erweisen. Dabei
stolperte sie über eine Kinderrassel, die auf dem Boden lag. Sabris Schwestern
kicherten hinter vorgehaltenen Händen, und endlich erhob sich die erste Frau
und ging Sibylla entgegen. „Wa-alaikum salam, Sayyida Sibylla. Mein Haus ist
auch Ihr Haus“, erwiderte sie höflich.
    „Bitte erweisen Sie mir die Ehre, meine
bescheidenen Gaben anzunehmen.“ Sibylla gab Nadira einen Wink, damit sie die
Pakete mit den bunten Seidenschals überreichte, die sie als Gastgeschenke
mitgebracht hatte. Befriedigt merkte sie, wie Interesse in den Augen der Frauen
aufflackerte. Am liebsten hätten sie die Schals sofort umgelegt, statt sie, wie
es die Höflichkeit gebot, zur Seite zu legen.
    „Bitte erlauben Sie mir, zum Dank die Speisen
meines Hauses mit Ihnen zu teilen.“ Die erste Frau klatschte in die feisten
Hände und befahl den Sklavinnen, Tee und Erfrischungen zu bringen. Dann lud sie
Sibylla ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Nadira blieb neben der Tür stehen.
    Während zwei Dienerinnen duftenden Tee, süße
Mandelhörnchen und frischen Laban mit Granatapfelmus auftrugen, brachte eine
andere ein Becken mit Wasser und Tücher zum Reinigen der Hände.
    Die Frauen aßen, tranken Tee und ergingen
sich im Austausch von allerlei Höflichkeitsfloskeln, aber Sibylla wusste, dass
Gastfreundschaft im Orient ein heiliges Gut darstellte. War der Form Genüge
getan, würde man sie ohne Umschweife nach ihrem Anliegen fragen.
    Tatsächlich richtete die erste Frau kurz
darauf ihre schwarzen Augen auf sie: „Was verschafft mir die Ehre Ihres
Besuches, Sayyida Sibylla?“
    Bedächtig stellte diese ihr Teeglas auf den
Tisch. Sie hatte sich genau überlegt, wie sie ihr Ziel am ehesten erreichen
würde, und war zu dem Schluss gelangt, dass sie von Mutter zu Mutter sprechen
musste, auch wenn es unhöflich war, die erste Frau zu übergehen.
    „Verehrungswürdige Sayyida Almaz.“ Sie sah
Sabris Mutter direkt an. „Meine Tochter ist fort, und ich habe Angst, sie nie
wiederzusehen.“
    Almaz‘ Augen weiteten sich. Sie saß kerzengerade auf dem Sofa, und Sibylla hatte
das Gefühl, dass sie genau verstand, was sie ihr sagen wollte.
    „Hier ist sie nicht“, kam es schnippisch von
der ersten Frau, die beleidigt war, weil der Gast sie übersehen hatte.
    Auch Sabris Großmutter mischte sich ein: „Das
ungläubige Mädchen hat den Frieden dieses Hauses gestört!“ Sie schlug mit der knochigen Hand auf die
Armlehne ihres Stuhles.
    Die drei Töchter des Hauses schwiegen, ihre
Augen flogen neugierig zwischen Sibylla und Almaz hin und her.
    Endlich sprach Almaz. Ihre Stimme war nicht
laut, aber ruhig und würdevoll. „Keine Mutter sollte auf ihr Kind verzichten
müssen, Sayyida Sibylla. Aber was hat mein Sohn damit zu tun, dass Sie
fürchten, Ihre Tochter zu verlieren?“
    „Meine Tochter Emily und Ihr Sohn Sabri haben
sich zusammen auf ein Segelschiff nach England begeben. Sie haben auf diesem
Schiff geheiratet. Nun sind sie in Lissabon und fürchten den Zorn ihrer
Familien.“
    Die erste Frau keuchte überrascht, die Alte
klagte: „Oh, diese Verführerin! Trügerischer als eine Fata Morgana im
Wüstensand hat sie den Sohn dieses Hauses in sein Verderben gelockt!“
    Almaz stieß einen erschütterten Ausruf aus,
aber eine von Sabris unverheirateten Schwestern seufzte sehnsüchtig: „Bei
Allah, wie groß muss diese Liebe sein!“
    Sibylla sah Almaz an. „Haben Sie

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