Die Loewin von Mogador
Comstock.“ Sie reichte
dem alten Seemann eine flache Schatulle, die sie bisher hinter ihrem Rücken
versteckt hatte. „Zur Erinnerung an Ihre Jahre bei Spencer & Sohn.“
Als er die Schatulle öffnete, lag darin eine
schöne Taschenuhr an einer goldenen Kette. Auf den Deckel der Uhr hatte Sibylla
seine Dienstjahre gravieren lassen.
„Mrs. Hopkins, die ist viel zu elegant für
einen alten Seebären wie mich.“ Die Stimme versagte ihm, er zog den Zweispitz
vom Kopf und drückte ihn an seine Brust.
Sibylla widersprach: „Als einer der treuesten
Kapitäne der Reederei, besonders nach der Meuterei auf der Queen Charlotte,
haben Sie sie wahrlich verdient. Allerdings“, setzte sie streng hinzu, „haben
Sie mir am Ende doch noch Kummer bereitet.“
Er sah sie so betreten an, dass ihm das
amüsierte Funkeln in ihren Augen entging. „Sprechen Sie von Miss Emily? Ich
habe es nur gut gemeint, Mrs. Hopkins, das müssen Sie mir glauben! Und mit
Verlaub – es war mir eine Ehre, Ihr Fräulein Tochter und den arabischen
Gentleman zu trauen. Das Leben an Bord ist ja eher hart, kein Platz für
Gefühle, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wenn man dann unverhofft zu so viel
Glück beitragen kann…“, er räusperte sich. „Das vergisst man nicht so schnell.“
„Ich werde das auch nicht so schnell
vergessen“, erwiderte Sibylla trocken. „Zum Glück findet alles nun ein gutes
Ende.“
Seit zehn Tagen waren Emily, Sabri und
Victoria wieder in Mogador, und Emily überschlug sich mit begeisterten
Berichten.
Als die Queen Charlotte in Lissabon angelegt
hatte, waren die nebligen verregneten Wintermonate gerade vorüber, und die
hügelige Stadt über dem Tejo hatte sie im Frühlingskleid empfangen. Emily war
hingerissen gewesen von den blumengeschmückten Balkonen der Bürgerhäuser, von
den grünen Parkanlagen und den Boulevards mit moderner Gasbeleuchtung. Sie
hatte die Pracht des Königsschlosses und die eleganten Adelspaläste bewundert
und erstmals Kirchen, Klöster und Kathedralen besucht. Victoria hatte sie in
Ausstellungen und elegante Geschäfte geschleppt, abends hatten sie zu dritt
Theaterstücke und Opernaufführungen angeschaut. An einem Wochenende hatten sie
einen Ausflug in den mondänen Badeort Estoril unternommen und an einem anderen
eine Fahrt mit der Eisenbahn, so dass Emily während ihres zweimonatigen
Aufenthalts in der portugiesischen Hauptstadt unzählige Eindrücke von Dingen
gewann, die sie zum allerersten Mal erlebte.
Doch jetzt war sie glücklich, wieder zu Hause
zu sein, und bereitete sich mit Hingabe und der Unterstützung sämtlicher Frauen
der Familien Hopkins und bin Ibrahim auf ihr arabisches Hochzeitsfest vor.
Heute war sie mit Victoria gleich nach dem Frühstück zu den Näherinnen und
Stickerinnen gegangen, um ihre Hochzeitskleider anzuprobieren. Victoria war
fast neidisch geworden, als sie erfuhr, dass ihre Schwägerin nicht nur eines,
sondern zehn Kleider für die dreitägigen Feiern bekam. Aber Sabris Schwestern
hatten ihr erklärt, dass das bei einer Hochzeit hierzulande üblich wäre. Am Tag
ihrer Eheschließung sollte eine arabische Braut sich fühlen wie eine Prinzessin
aus 1001 Nacht.
Während Emily ihre Brautkleider probiert
hatte, hatte Sibylla sich Musikantinnen angehört, die auf der Feier spielen
sollten. Nach dem Freitagsgebet waren Emily und sie mit Almaz und der ersten
Frau Hadj Abduls verabredet, um aus der Fülle der Speisen, die auf dem Fest
serviert werden sollten, einige zu kosten. Dazwischen hatte sie sich kurz frei
gemacht, um Kapitän Comstock zu verabschieden, und jetzt wollte sie noch ein
paar Unterlagen aus ihrem Büro holen.
„Mummy, hier bist du!“, rief eine vertraute
Stimme hinter Sibylla. „Wir müssen uns beeilen, wenn wir rechtzeitig bei Almaz
und der ersten Frau von Sabris Vater sein wollen!“
Sie schüttelte dem altgedienten Seemann die
Hand. „Mast und Schotbruch, Kapitän, so sagt man doch in der Seefahrt, nicht
wahr? Ich wünsche Ihnen alles Gute und noch viele glückliche Jahre mit Ihrer
Frau!“
Er strahlte und verbeugte sich ungelenk. „Es
war mir immer eine Ehre, bei Ihnen in Mogador vor Anker zu gehen, Mrs.
Hopkins.“
Nebeneinander gingen Mutter und Tochter zum
Lagerhaus. Es war fast Mittag, gleich würde der Muezzin zum Freitagsgebet
rufen, doch noch herrschte am Kai das übliche bunte Treiben. Schiffe wurden be-
und entladen. Matrosen scheuerten Decks, flickten Segel, prüften Ankerketten
und Taue. Lastenträger schleppten
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