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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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hat.“
    „Was sagst du da?!“ André packte das Pferd
des Mannes am Zügel. „Wer war es? Lebt er noch? Wo versteckt diese Kanaille
sich?“
    Der Scheich hob bekümmert die Schultern.
„Bevor meine Söhne das aus den Schurken herausprügeln konnten, waren die
verweichlichten Säuglinge tot! Sie haben nur noch gestanden, dass der Fremde
aus Mogador kam.“
    „Aus Mogador! Und ich habe gedacht, die
Gruppe hat uns überfallen, weil sie uns von unserem Land vertreiben wollte!“
Die Offenbarung des Scheichs änderte alles. In Windeseile überlegte André, wen
er sich in Mogador zum Feind gemacht hatte, doch ihm fiel niemand ein. Verwirrt
schüttelte er den Kopf. Was, wenn der Unbekannte noch einmal zuschlug? Auf
jeden Fall musste er ihn finden, und zwar so schnell wie möglich.
    „Frédéric!“, wandte er sich an seinen
Ältesten. „Du wirst ein paar Tage auf deine Geschwister aufpassen. Haltet das
Tor immer geschlossen, geht nie allein und ohne Waffe aus dem Haus! Ich reite
nach Mogador, um diesen Hurensohn, wer auch immer es ist, zur Strecke zu
bringen!“

Kapitel
vierunddreißig - Mogador im Mai 1862
     
    „Mein Bruder hat mir geschrieben, dass Sie Ihren
wohlverdienten Ruhestand antreten, wenn Sie wieder in London sind, Kapitän
Comstock.“ Sibylla stand neben dem altgedienten Seebären an der Hafenmole.
Beide blickten zur Queen Charlotte, die weit draußen im Hafenbecken ankerte.
    Von der See wehte ein beständiger leichter
Wind und milderte die sommerliche Hitze. Über ihnen türmten sich graue
regenschwere Wolken. Dazwischen tauchte immer wieder die Sonne auf und
verzauberte das Wasser in eine silberne Spiegelfläche. Längsseits des großen
Westindienseglers schaukelte ein Ruderboot auf den Wellen, das die letzten
Frachtstücke für die Queen an Bord brachte: Wandteppiche aus Fès, Tonamphoren,
silberne Teekannen, bunte Teegläser und filigrane geschmiedete Lampen. Alles
hatte Sibylla durch Lalla Jasiras Vermittlung erworben, die sich freute, dank
der ständig steigenden Lust europäischer Damen auf einen orientalischen
Lebensstil gute Provisionen zu verdienen.
    Kapitän Comstock nahm seine Pfeife aus dem
Mund und strich sich über den eisengrauen Backenbart. „Ja, es heißt Abschied
nehmen, Mrs. Hopkins, und zwar doppelt. Meine treue alte Queen und ich, wir
werden abgewrackt. In der modernen Welt zählt die Geschwindigkeit. Zeit ist
Geld, das sagte Ihr verehrter Herr Bruder zu mir, bevor wir das letzte Mal aus
London ausliefen. Sentimentalitäten kann ich mir nicht leisten, meinte er. Wenn
wir mit der Konkurrenz mithalten wollen, müssen wir modernere Schiffe
einsetzen.“ Comstock seufzte traurig. „Ich weiß wohl, was der Reeder meinte:
Bald werden von Kohle getriebene Kolosse aus Stahl die Meere regieren, anstelle
von stolz geblähten Segeln und wahrer Seemannskunst.“
    „Der Fortschritt bringt auch viel Gutes für
die Menschen“, versuchte Sibylla, ihn zu trösten, aber auch sie empfand Wehmut.
War es wirklich mehr als zwanzig Jahre her, dass sie mit der Queen Charlotte in
Mogador angekommen war? Jetzt wurde das Segelschiff außer Dienst gestellt, und
das zeigte, dass die Zeit an niemandem spurlos vorüberging.
    Comstock blickte zu dem Ruderboot im
Hafenbecken, das nun entladen war und wieder Kurs auf den Kai nahm, um ihn an
Bord zu bringen. „Es wird Zeit, Ahoi Mogador zu sagen.“
    „Hoffentlich wird Ihnen das Leben an Land
nicht allzu fremd sein“, bemerkte Sibylla schmunzelnd.
    „Wenn mich die Sehnsucht nach dem Meer packt,
gehe ich an die Themse, sage den Schiffen guten Tag, die aus aller Welt in
unser großes London kommen, und freue mich, dass ich mich nicht mehr über
widrige Winde oder faule Matrosen ärgern muss.“ Er betrachtete Sibylla
nachdenklich. „Haben Sie kein Heimweh nach England, Mrs. Hopkins? Wollen Sie
nie nach Hause zurück?“
    Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Mein guter
Comstock, ich lebe schon so lange hier. Mogador ist mein Zuhause.“
    Mit einem leisen Poltern gegen die Kaimauer
legte das Ruderboot an. Während der Steuermann das Haltetau auswarf, näherte
sich der Hafenmeister. „Ihr Schiff ist fertig zum Auslaufen, Kapitän. Hier sind
Ihre Zollpapiere.“ Er reichte Comstock eine lederne Mappe, nickte Sibylla
höflich zu und entfernte sich wieder.
    Der Kapitän der Queen Charlotte rückte seinen
Zweispitz gerade und straffte die Schultern. „Nun denn, Mrs. Hopkins…“ Er
wollte sich verbeugen, aber Sibylla hob eine Hand.
    „Einen Moment noch,

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