Die Loewin von Mogador
„Heute hatte ich Besuch von der ehrenwerten Sayyida Sibylla. Wir
haben von Mutter zu Mutter über unsere Kinder gesprochen und beschlossen, dass
sie, sobald sie aus Lissabon zurück sind, eine große Hochzeit feiern werden.“
„Wie bitte?!“ Hadj Abdul war verwirrt. „Wer
feiert Hochzeit? Und wieso Lissabon? Sabri ist in England.“
„Dein Sohn und das englische Mädchen Emily
werden heiraten.“
„Schweig!“ Hadj Abdul hob die Hand. „Was
erzählst du mir da? Hast du Fieber?“
Almaz verschränkte beide Arme vor ihrer
Brust. „Sabri und Emily sind zusammen geflohen. Sie haben keinen anderen Ausweg
gesehen, weil es Väter gibt, die starrsinniger als ein Esel und bockiger als
ein Kamel sind! Jetzt warten sie in Lissabon, dass sie in den Schoß ihrer
Familien zurückkehren dürfen.“
Hadj Abdul brummte. Er versuchte immer noch,
zu begreifen, was seine Frau ihm gerade enthüllte. Doch es kam noch schlimmer.
Offensichtlich hatte sein einziger Sohn nicht nur die Ungläubige zur Frau
genommen – er drohte außerdem, für immer mit ihr im Ausland zu leben! Dieser
Gedanke brach ihm fast das Herz. Aber er war auch wütend, weil offensichtlich
jeder in seinem Haushalt tat, was ihm passte, und keiner mehr Rücksicht auf
Anstand und Sitte nahm.
„Niemals!“, schrie er, als Almaz ihm
berichtete, wie die Frauen seines Hauses, einschließlich seiner eigenen Mutter,
mit der ungläubigen Kaufmannsfrau entschieden hatten, für ihre Kinder eine
große Hochzeit in Mogador auszurichten. „Niemals werde ich diesen Wahnsinn
erlauben!“
„Dafür ist es zu spät. Nach dem Gesetz der
Ungläubigen sind sie nämlich schon verheiratet. Aber Sayyida Sibylla und ich
wollen unsere Kinder nicht verlieren. Wir haben einen Brief geschrieben, in dem
wir sie bitten, zurückzukommen und mit dem Segen ihrer Eltern in Mogador eine
richtige Hochzeitszeremonie zu feiern, nach unseren Bräuchen. Die ehrwürdige
erste Frau hat bereits einen Astrologen bestellt, um den richtigen Zeitpunkt
für die Hochzeit zu bestimmen, und deine Töchter wollen morgen auf dem Souk
Kleiderstoffe aussuchen. Da willst du doch keine Zweifel mehr vorbringen!“
„Keine Zweifel?!“, bellte Hadj Abdul. „Unser
Sohn hat eine Braut! Gerade erst musste ich die Mahr verdoppeln, damit sie ihn
noch nimmt!“
„Sie wird ihn nicht nehmen, mein Gebieter“,
beschied Almaz ihm sanft. „Du musst zum Kadi gehen und mit ihm sprechen. Wenn
er in Mogador verkündet, dass seine Tochter die Verlobung löst, weil er einen
besseren Ehemann für sie gefunden hat, fällt kein Schatten auf ihre Ehre.“
Diesen Ausweg hatte die erste Frau ersonnen.
Nachdem alle die ungeheuerlichen Neuigkeiten verdaut hatten, hatten Sabris
Schwestern verkündet, dass ihr Bruder und seine Frau eine richtige Hochzeit
feiern müssten, so wie es in arabischen Familien Brauch war. Diese Idee hatte
alle begeistert, auch die erste Frau und Sabris Großmutter. Ein Hochzeitsfest
bildete eine willkommene Abwechslung in ihrem eintönigen, auf den häuslichen
Bereich beschränkten Leben. Als Sibylla am Nachmittag ging, war das Fest in
großen Teilen geplant.
Almaz hatte die Aufgabe übernommen, den Herrn
des Hauses zu informieren. Aber als sie ihn jetzt so vor sich sah, verwirrt,
verärgert und gekränkt, tat er ihr leid. Ihr Gebieter war kein schlechter
Ehemann. Er hatte immer gut für sie gesorgt, sie nie geschlagen, auch nicht,
als sie noch seine Sklavin gewesen war, und er war ein zärtlicher und
umsichtiger Liebhaber. Wie schön wäre es, wenn er sich auch auf dieses große
Ereignis freuen könnte!
Hadj Abdul jedoch schnaubte zornig: „Ihr
Frauen seid wie Katzen, die ihrer Beute auflauern, um damit nach Belieben zu
spielen. Wenn ihr glaubt, ich gehe schon wieder zum Kadi und mache dort einen
Narren aus mir, habt ihr euch getäuscht!“
„Aber es gibt keinen anderen Weg, mein
Gebieter.“ Almaz setzte sich auf die Bettkante. „Willst du, dass die Familie
zerfällt? Willst du deinen einzigen Sohn verlieren? Nie seine Kinder auf deinem
Schoß schaukeln? Nie sehen, wie sie groß werden?“
Hadj Abdul saugte an seiner Pfeife und
schwieg. Seine Familie bedeutete ihm alles. Er war so stolz auf Sabri gewesen,
weil er Arzt wurde, aber jetzt war er bitter enttäuscht. Seit Jahren
beobachtete er, wie die Ungläubigen versuchten, sich in Marokko festzusetzen,
mit ihren Konsulaten und Handelsniederlassungen, mit ihrem Geld, ihren modernen
Waffen und Kriegsflotten. Zweiundzwanzig Jahre war es her, dass
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