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Die Loewin von Mogador

Die Loewin von Mogador

Titel: Die Loewin von Mogador Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Drosten
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Eine Männerstimme rief: „Sibylla, Emily! Was ist da los?“
    Die Stiefel polterten die Holztreppe hinauf.
Benjamins Grinsen löste sich in Luft auf. Er wusste, dass es zu spät war, um zu
fliehen. Er schaute zu Emily, die reglos auf dem Boden lag, und biss sich auf
die Lippen. Dann atmete er tief durch, spannte den Revolver erneut und presste
den Lauf an Emilys Kopf.
     
    „Neeiin!!!“ André stürmte durch die offen
stehende Bürotür, sein Gebrüll gellte durch die ganze Lagerhalle.
    Benjamin fuhr herum und richtete die Waffe
auf den Franzosen.
    „André, pass auf!“, schrie Sibylla.
    Er stutzte, konnte jedoch nicht mehr
ausweichen, und Benjamin drückte den Abzug.
    Sibylla schlug sich beide Hände vor die
Augen, aber der Schuss blieb aus. Als die Waffe bei ihrer Rangelei mit Benjamin
auf den Boden gefallen war, hatte sich der Abzugshahn verschoben, nun klemmte
der Bolzen. Mit einem Zornesruf schleuderte Benjamin sie von sich. Sie
schlitterte einige Meter über den Boden, außerhalb seiner Reichweite.
    Sibylla ließ ihre Hände sinken und sah gerade
noch, wie André sich auf Benjamin warf, ihn an der Kapuze der Djellaba hochriss
und auf den Gang katapultierte. Sabri, der André dicht gefolgt war, konnte sich
gerade noch zur Seite ducken, und Benjamin prallte ungebremst gegen die
Brüstung der Empore. Krachend zerbarst das hölzerne Geländer, und mit
markerschütterndem Geheul stürzte er in die Tiefe. Sein schwarzer Umhang blähte
sich hinter ihm in der Luft, dann schlug er mit einem dumpfen Laut fünf Meter
tiefer auf dem steinernen Grund der Lagerhalle auf. John und Thomas, die sich
noch auf dem Treppenabsatz befunden hatten, starrten fassungslos auf den
bewegungslosen Körper, über den sich der schwarze Umhang wie ein Fächer
gebreitet hatte.
    „Du siehst nach Mutter und Emily!“, stieß
Thomas hervor. „Ich schaue, ob er noch lebt.“
    John rannte los, aber in der Bürotür blieb er
abrupt stehen. Kaum zwei Meter vor ihm lag seine Schwester auf den Dielen,
genauso reglos wie der Fremde unten im Lager. Seine Mutter hielt ihren Kopf und
streichelte ihr bleiches Gesicht mit den geschlossenen Augenlidern, André
drückte eine ihrer schlaffen Hände, und Sabri hatte zwei Finger an ihren Hals
gelegt und schien mit konzentrierter Miene zu lauschen.
    „Ist sie…?“ John schluckte, unfähig, das
Schlimmste auszusprechen.
    Sabri nahm die Finger von Emilys Hals und
wischte sich über die Stirn. „Sie lebt“, sagte er mit erstickter Stimme.
    „Dieu merci!“ Andrés Stimme brach.
    „Dir sei Dank.“ Sibylla legte eine Hand an
seine tränennasse Wange. „Wärst du nicht gewesen, hätte Benjamin uns beide
getötet.“
    „Benjamin?“ André starrte sie an. „Sprichst
du von…“
    „…unserem Vater?“, vollendete John tonlos.
    In diesem Moment stöhnte Emily leise. Sie
bewegte den Kopf und stieß einen leisen Schmerzenslaut aus. Dann schlug sie die
Augen auf und blickte verwirrt die vier Menschen an, die sie mit tief besorgten
Mienen umringten. „Wieso seid ihr alle hier?“ Dann erinnerte sie sich wieder.
„Mummy! Er hat dich nicht getroffen!“
    Schritte näherten sich dem Büro. Ängstlich
zuckte Emily zusammen „Wir müssen weg! Er hat eine Waffe!“ Sie versuchte
vergeblich, sich aufzusetzen.
    „Beruhige dich!“ André hielt sie fest. „Die
Waffe ist bei mir.“ Er hatte sie aufgehoben und eingesteckt, noch bevor er sich
um Emily gekümmert hatte – eine Vorsichtsmaßnahme, falls der Eindringling nicht
allein gewesen wäre.
    „Emily! Um Gottes willen!“ Thomas stand im
Türrahmen und blickte genauso erschrocken drein wie zuvor John.
    „Es geht ihr gut. Ein Schlag in den Nacken
mit dem Revolver, aber mehr als einen Bluterguss wird sie nicht bekommen“, versicherte
Sabri rasch.
    „Der Fremde, der ihr diesen Schlag verpasst
hat, war unser Vater“, informierte John seinen Bruder mit belegter Stimme.
    Thomas starrte erst ihn, dann seine Mutter
an. Sibylla nickte stumm.
    „Lebt er noch?“, erkundigte André sich ernst.
    Langsam, wie in Trance schüttelte Thomas den
Kopf. „Der Sturz hat ihm das Genick gebrochen.“
     
    Thomas untersuchte seine Mutter und
diagnostizierte eine Prellung am Rücken durch den Sturz gegen die Pultkante.
Während er sie behutsam abtastete, informierte Sibylla die anderen, dass
Benjamin nicht nur hinter dem heutigen Überfall steckte, sondern auch den
Einbruch in den Riad begangen und den Überfall auf Qasr el Bahia angezettelt
hatte und dass die Schüsse,

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