Die Loewin von Mogador
die Tamra und Aynur das Leben gekostet hatten, auf
seinen Befehl hin Emily gegolten hatten.
„Maudit soit le diable!“, fluchte André.
„Dieser Teufel! Ich bereue nicht, dass er durch meine Hand gestorben ist! Auch
wenn er euer Vater war“, fügte er an John und Thomas gerichtet hinzu.
Einige Sekunden schwiegen alle. Dann erklärte
John ruhig: „Der Verbrecher, der unsere Schwester umbringen wollte, ist nicht
länger mein Vater.“ Thomas nickte nachdrücklich, aber in seinen Augen lag
tiefer Schmerz.
Für Sibylla war es schrecklich, ihre Söhne
durch die Taten des eigenen Vaters so verwirrt und gedemütigt zu sehen. Sie
wollte sie umarmen und trösten, ihre Tränen trocknen so wie damals, als sie
kleine Jungen gewesen waren, aber John wandte sich wortlos ab, und Thomas schob
sie sanft von sich.
„Eines Tages wird es uns vielleicht möglich
sein, uns nur noch an den Vater unserer Kindheit zu erinnern, nicht an den, der
er geworden ist. Bitte versteh das, Mutter!“
In diesem Moment beschloss sie, ihrer Familie
Benjamins letztes Geheimnis zu enthüllen. Sie fühlte, dass keiner von ihnen
sonst mit den schlimmen Ereignissen abschließen konnte. Doch das würde sie zu
Hause tun, denn auch Victoria als Johns Frau musste die ganze Wahrheit
erfahren.
Sie tastete nach Andrés Arm, der sie sofort
behutsam stützte. „Lasst uns gehen! Ich möchte nicht länger als nötig
hierbleiben.“
Beim Anblick des zersplitterten Geländers
drückte Emily entsetzt das Gesicht an Sabris Schulter, und als sie Benjamins
reglose Gestalt auf dem Boden des Lagers sah, unter der Decke, die Thomas über
den Leichnam gebreitet hatte, keuchte sie unterdrückt.
John räusperte sich. „Wir müssen die Halle
abschließen. Mutter, gib mir bitte den Schlüssel! Danach werde ich den Kaid
informieren.“
Die friedliche Stimmung, die sie auf dem
Vorplatz empfing, mutete fast unwirklich an. In ihrer Lagerhalle lag Benjamin
mit gebrochenem Genick, aber hier draußen schien die Sonne vom azurblauen
Himmel, Möwen segelten heiser krächzend über dem Hafenbecken, und die Masten
der vor Anker liegenden Segelschiffe wippten in der leichten Brise.
Als dicht neben ihnen eine Kinderstimme
piepste: „Kommt der Herr auch gleich?“, fuhren alle zusammen.
Ein kleiner Araberjunge näherte sich. Er
hielt ein mit zwei Packkisten beladenes Maultier am Zaumzeug.
„Welchen Herrn meinst du?“, fragte André.
„Den Großen in der schwarzen Djellaba
natürlich. Ich passe auf sein Maultier auf“, verkündete der Kleine wichtig.
„Warum war es so laut da drinnen?“ Neugierig versuchte er, durch die Hallentür
zu sehen. Emily sog erschrocken die Luft ein. John entgegnete: „Da ist nur etwas
umgefallen“, und schloss rasch die Tür ab.
Sibylla betrachtete das Maultier. „Benjamin
erwähnte, dass er Mogador morgen früh verlassen wollte. Das hier muss sein
Gepäck sein.“
„Dann sollten wir einen Blick darauf werfen“,
bemerkte André.
„Das übernehme ich.“ John nestelte ein paar
Münzen aus seiner Jackentasche und hielt sie dem Jungen hin. „Der Herr kommt
nicht mehr. Aber die gebe ich dir, wenn du für mich zum Statthalterpalast
läufst. Sag der Wache, dass John Hopkins Kaid Samir in einer dringenden Angelegenheit
am Hafen sprechen muss.“
„Aber das Maultier“, wandte der Junge ein.
„Darauf passe ich auf“, erwiderte John.
„Jetzt lauf los!“
„Es muss Vorsehung gewesen sein, dass ihr
vier genau im richtigen Moment gekommen seid“, sagte Sibylla, als sie bei Tee
und Gebäck in ihrem Salon auf John warteten. Sie saß, von mehreren Kissen
gestützt, auf dem Diwan, neben sich Emily, der Sabri eine kühle Kompresse in
den Nacken gelegt hatte. Der junge Arzt wich nicht von Emilys Seite und warf
ihr ständig besorgte Blicke zu.
Victoria hatte auf einem Stuhl Platz
genommen. Sie saß sehr gerade, um Haltung bemüht. Nur ihre Finger, die
unablässig die Teetasse drehten, verrieten, wie schwer es ihr fiel, das
Ungeheuerliche, das sie gerade gehört hatte, zu begreifen.
„Die Vorsehung waren Sie, Monsieur Rouston.“
Thomas warf dem Franzosen einen dankbaren Blick zu.
Als Sibylla ihn fragend ansah, erklärte er:
„Monsieur Rouston kam hierher, um Emily zu besuchen. Als er nur mich und John
antraf, machte er den Vorschlag, euch abzuholen. Unterwegs begegneten wir bin
Abdul, der gerade seine Sprechstunde beendet hatte.“ Thomas nickte in Sabris
Richtung.
„Ich hatte solche Sehnsucht nach dir, dass
mir ganz egal war, ob wir
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