Die Loewin von Mogador
uns sehen dürfen oder nicht“, gab Sabri zu und strich
zärtlich über Emilys Locken.
„Zum Glück!“, erwiderte sie leise.
Sibylla rührte in ihrem Tee. „Hat es einen
bestimmten Grund, dass du kurz vor der Hochzeit noch einmal nach Mogador
gekommen bist?“, fragte sie André.
„Allerdings!“ Er nickte nachdrücklich. „Der
Scheich der Ait Zelten war bei mir, um mir zu sagen, dass seine Söhne die
Männer, die das Gut überfallen hatten, getötet haben. Außerdem haben sie
erfahren, dass es einen Drahtzieher des Überfalls gibt, der sich irgendwo in
Mogador versteckt. Ich bin umgehend zum Kaid geritten und habe ihn um Hilfe
gebeten, aber die brauchen wir nicht mehr, der Drahtzieher ist tot.“
Vor der Tür ertönten Stimmen und Schritte.
Gleich darauf trat John ein. „Die Packkisten bargen einige Überraschungen“,
verkündete er und wies mit bedeutungsvoller Miene auf Hamid, der hinter ihm
kam. Der Torwächter trug vier Leinensäcke, die er in die Raummitte stellte.
„Das darf doch nicht wahr sein!“ André war
bei den Säcken, bevor John die Tür ganz hinter Hamid geschlossen hatte.
„Benjamin hat meinen Safran aus deinem Büro gestohlen!“ Er hatte nämlich den
Aufdruck von Qasr el Bahia auf den Säcken erkannt. Rasch löste er die
Verschnürung eines Sackes, griff hinein und holte kopfschüttelnd eine Handvoll
rotgoldener winziger Blütenfäden heraus.
Sibylla war wie vom Donner gerührt. Schon
wieder war eine Schandtat ihres Mannes ans Licht gekommen! Gleich darauf
stellte John die Geldkassette, die bei dem Einbruch ebenfalls gestohlen worden
war, auf den Tisch vor seine Mutter. „Das Schloss ist aufgebrochen, aber ich habe
das Geld nachgezählt. Das meiste ist noch da. Außerdem habe ich noch das hier
gefunden.“ Er griff in die Innentasche seiner Jacke, zog eine lederne Mappe
heraus und reichte sie seiner Mutter.
„Hoffentlich nicht wieder etwas Schlimmes!“,
murmelte sie.
„Schau es dir in Ruhe an“, erwiderte er nur.
Sie schlug die Mappe auf und fand mehrere
Papiere mit dem Aufdruck einer bekannten Londoner Anwaltskanzlei. Das oberste
Blatt war groß mit „Kaufvertrag“ überschrieben und trug viele Stempel und
Unterschriften. Diejenige von Benjamin erkannte sie sofort.
„Und, was ist es, Mutter?“, fragte Thomas
besorgt.
Sie hatte das Schriftstück bereits
überfolgen. „Ein Kaufvertrag über eine Zuckerrohrplantage, die Benjamin auf
Kuba erworben hat.“ Sie nahm ein weiteres Papier mit einer Umrisszeichnung von
Kuba, auf dem die Plantage mit einem dicken Kreuz eingezeichnet war, und
reichte es Thomas. Außerdem befanden sich Listen über Inventar, Gerätschaften
und Sklaven in der Mappe.
„Es muss sich um eine große Plantage handeln.
Allerdings ist sie erst angezahlt“, stellte Sibylla fest, nachdem sie alle
Unterlagen studiert hatte. „Den größten Teil der Kaufsumme wollte Benjamin bei
seiner Ankunft auf Kuba entrichten.“
„Ich habe mir erlaubt, diese Papiere
ebenfalls durchzusehen, Mutter“, warf John ein, „und habe gleich ein paar
Seeleute am Hafen befragt. Zurzeit liegt nur ein Segler mit Ziel Kuba vor
Anker: die Infanta Isabella, ein spanisches Schiff, das morgen früh in See
sticht.“
„Ich weiß, welches Schiff du meinst!“, rief
Sibylla aufgeregt. „Sie ist schon einmal kurz vor Weihnachten ausgelaufen, in
einen Sturm geraten und hat sich mit letzter Kraft zurück nach Mogador
gerettet. Ein Mast war gebrochen, die Segel zerrissen. Außerdem war sie
leckgeschlagen. Es hat den ganzen Winter gedauert, sie wieder seetüchtig zu
machen. Vermutlich war Benjamin damals schon an Bord.“
„Und wenn er hier nicht hätte warten müssen,
bis sein Schiff wieder flott ist, wäre der heutige Vorfall nie passiert“,
ergänzte André. „Ich frage mich nur, wo er so lange Unterschlupf gefunden hat.“
„Kaid Samir lässt diesbezüglich Erkundigungen
anstellen“, versicherte John. „Außerdem wird er die Leiche anonym auf dem
christlichen Friedhof vor der Stadtmauer beisetzen lassen. Das ist doch in
deinem Sinne, Mutter?“
Sibylla räusperte sich. „Natürlich. Das hast
du richtig entschieden.“
„Durch den Tod unseres Vaters bist du jetzt
also Besitzerin einer Zuckerrohrplantage auf Kuba“, stellte Thomas fest.
„Einer Zuckerrohrplantage, die noch nicht
bezahlt ist“, korrigierte Sibylla nüchtern.
„Warum ist Hopkins nicht direkt von London
nach Kuba gereist?“, meldete Sabri sich zu Wort. „Wollte er hier Geld
auftreiben, um die
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