Die Loewin von Mogador
die Schrift sowieso.“
„Wir sollten Arabisch lernen“, schlug Sibylla
vor. „Dann fühlen wir uns in diesem Land bald heimischer.“ Aber Benjamin sah
sie nur groß an: „Warum nicht gleich Hebräisch, dann können wir noch mit den
Juden reden?“
Mr. Fisher, der alleinstehend gewesen war,
hatte sich nur in einigen der vielen kleinen Zimmer des Hauses eingerichtet,
einem Esszimmer, einem Kontor sowie einem Empfangssalon und einem Schlafzimmer.
Die Zimmerwände waren wie die Außenmauern weiß verputzt, manche mit kunstvollen
arabischen Versen verziert. Die hölzernen Zimmerdecken waren mit bunt bemalten
Schnitzereien geschmückt, die meisten Böden bestanden aus Holzdielen, auf denen
Teppiche in roten, blauen und grünen Mustern lagen.
Man merkt, dass hier ein unverheirateter Mann
gelebt hat, dachte Sibylla, wenn sie von einem Zimmer zum anderen ging. Hier
passte nichts zusammen, alles wirkte leblos, fast verlassen. Aber wenn sie aus
diesem Haus ein wohnliches Heim gemacht hatte, würde sich sicher auch Benjamin
wohler fühlen. Besonders, wenn erst Kinder in den jetzt noch leeren Räumen
spielten.
Für den Besuch beim Kaid hatte Sibylla ein
grünes Kleid ausgewählt. Sie hatte nämlich gelesen, dass Grün die
Lieblingsfarbe des Propheten gewesen war, und hoffte, ihren Gastgeber mit ihrer
Wahl zu erfreuen. Gestern hatte sie in der Taille die Nähte herausgelassen,
denn es spannte bereits beträchtlich über ihrem wachsenden Bauch.
Bis zum Palast des Statthalters waren es nur
wenige Hundert Meter. Deshalb gingen sie zu Fuß. Der Kaid hatte seinen
Übersetzer geschickt, um sie abzuholen. Sibylla bat Nadira, mitzukommen. Sie
fühlte sich in Begleitung einer zweiten Frau, die obendrein mit Europäern wie
Arabern vertraut war, wohler. Außerdem wurden sie von Hamid begleitet, der die
Geschenke trug. Im letzten Moment war Sibylla aufgefallen, dass sie zwar ein
Geschenk für den Kaid hatten, doch seine Familie hatten sie völlig vergessen.
„Nehmen Sie von dem indischen Tee mit,
Herrin. Hier liebt man Tee genau wie in England“, hatte Nadira vorgeschlagen.
Für die Frauen des Haushalts hatte Sibylla
bunte Schals und hübsche bestickte Taschentücher aus ihren Truhen gesucht.
Während sie durch die Gassen liefen, wurden
sie von Passanten und Händlern am Straßenrand neugierig bestaunt. Unter den
Einheimischen hatte sich in Windeseile herumgesprochen, dass zwei neue Engliz,
wie sie die Engländer nannten, angekommen waren. Sibylla trug einen Hut, aber
ein paar blonde Locken schauten darunter hervor, und in Windeseile liefen
Schaulustige herbei. Ein paar besonders mutige Kinder versuchten sogar
kichernd, sie anzufassen, bevor Nuri bin Kalil sie davonscheuchte.
Sibyllas Haar sorgte in Mogador für Aufregung
und hatte sie stadtbekannt gemacht. Auch Benjamin hatte blondes Haar, doch es
war kurz und sandfarben, nicht so leuchtend golden wie Sibyllas. Nadira hatte
ihr erzählt, dass manche Leute überzeugt waren, sie wäre eine Dschinna, eine
Dämonin; andere glaubten, ihre Haarfarbe schützte gegen bösen Zauber. Deshalb
achtete sie darauf, ihr Haar zu bedecken, sobald sie das Haus verließ.
Der Kaid von Mogador lebte im vornehmsten
Gebäude der Stadt. Mehrere bewaffnete Wächter standen vor einem hohen
Rundbogentor und blickten den Besuchern mit steinernen Mienen entgegen. Einer
führte sie in den Vorhof, der ganz mit spiegelnden Marmorplatten ausgelegt war.
In die obere Etage führte eine breite steinerne Treppe, die sich in halber Höhe
teilte und in einen Rundgang mit schön ziselierten Säulen mündete.
Der Kaid kam seinen Gästen zur Begrüßung
entgegen. Sibylla fiel auf, dass er genauso einfach gekleidet war wie am Tag
ihrer Ankunft. Allerdings hatte er jetzt einen Dolch umgeschnallt, der in einer
auffallenden silberbeschlagenen Scheide steckte. Seine Exzellenz wurde von
einem Gefolge aus mehreren Arabern und einem älteren Mann mit langem grauen
Bart und einer runden Drahtbrille auf der vorspringenden Nase in der
vorgeschriebenen schwarzen Kleidung der Juden begleitet. Die Araber stellte Nuri
bin Kalil als Verwandte des Statthalters vor. Der Jude hieß Samuel Toledano und
war Tujjar al-Sultan – ein Kaufmann seiner allerheiligsten Majestät Sultan
Moulay Abd Er Rahman, wie bin Kalil erklärte.
Benjamin, Kaid Hash Hash und seine Verwandten
verbeugten sich voreinander und tauschten Begrüßungen aus. Der Statthalter
streifte Sibyllas grünes Kleid mit einem interessierten Blick, doch wie bei
ihrer
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