Die Loewin von Mogador
ersten Begegnung taten er und die anderen Männer, als wäre sie nicht
vorhanden. Die kleine Gruppe begab sich in einen der Empfangssalons, und
Benjamin hielt den Zeitpunkt für gekommen, sein Geschenk zu übergeben:
„Exzellenz! Ich möchte mich im Auftrag der Reederei Spencer & Sohn für die
wohlwollende Aufnahme in Ihrem Land bedanken und bitte Sie, diese kleine Aufmerksamkeit
von mir entgegenzunehmen!“
Er winkte Hamid, nahm ein in ein Seidentuch
gewickeltes Päckchen und reichte es dem Statthalter. Noch während bin Kalil
übersetzte, reichte der Kaid das Päckchen ungeöffnet an einen Diener weiter.
Ist er enttäuscht, weil es so klein ist?,
fragte Sibylla sich irritiert. In dem Taschentuch befand sich immerhin ein
ledernes Kästchen mit einer wertvollen goldenen Uhr.
Rasch bedeutete Sibylla ihrem Mann, die
Päckchen mit Tee zu verteilen. Nachdem alle Geschenke überreicht waren,
klatschte der Kaid in die Hände. Sofort trat eine Sklavin ein und winkte
Sibylla und Nadira, sie zu begleiten.
„Wohin gehen wir?“, erkundigte Sibylla sich
überrascht.
„Die Gattin von Mr. Hopkins hat die Ehre, die
Frauen des Haushaltes seiner Exzellenz zu treffen, während die Männer sich über
Geschäfte unterhalten“, erläuterte bin Kalil.
Sibylla war verblüfft. Sie hatte sich darauf
eingestellt, von den Männern wie Luft behandelt zu werden, aber sie hatte nicht
erwartet, weggeschickt zu werden.
„Seine Exzellenz hat unser Geschenk so
schnell beiseitegelegt“, sagte sie leise zu Nadira, als sie hinter der Sklavin
durch lange Zimmerfluchten eilten. „Glaubst du, dass es ihm nicht gefällt?“
„Sorgen Sie sich nicht, Herrin!“, raunte die
Dienerin ihr zu. „Es wäre sehr unhöflich von seiner Exzellenz, es vor den Augen
der Gäste zu öffnen.“
Sibylla wurde schnell klar, dass der Kaid
seiner schlichten Erscheinung zum Trotz Prunk und Pracht liebte. Gemächer und
Flure waren hell und luftig, die Decken mit schneeweißem Stuck verziert, die
Wände mit winzigen Mosaiken gekachelt. Auf den Böden lagen dicke seidene
Teppiche in leuchtenden Farben, und überall luden bestickte Kissen und niedrige
geschnitzte Tische zum Verweilen ein. Bilder gab es nicht, aber Sibylla fielen
die zahlreichen Waffen auf, die an Wänden und auf Truhen zur Schau gestellt
wurden. Messer und Dolche, Krummsäbel und Degen in auserlesenen Scheiden aus
Silber oder sogar Gold. In einem Raum wurden zwei Feuerwaffen präsentiert. Es
handelte sich nur um einfache Flinten, wie sie auch Sibyllas Vater für die
Rebhuhn- oder Kaninchenjagd besaß, aber daneben stand ein Diener und bewachte
sie wie einen wertvollen Schatz.
„Wir verlassen nun den Empfangsbereich“,
erklärte Nadira. „Die Frauengemächer liegen hinter der Tür. Hier sind Männer
ausgeschlossen, bis auf seine Exzellenz und einige Verwandte. Wenn eine der
Frauen erkrankt, darf auch noch ein Hakim zu ihnen.“
„Woher kennst du dich so gut aus?“, wollte
Sibylla wissen.
„Bevor ich freigelassen wurde, um
christlichen Herren zu dienen, gehörte ich zum Haushalt eines Hofbeamten in
Marrakesch“, antwortete Nadira.
Die Wächter öffneten die Türflügel, und die
Sklavin führte sie in einen großen quadratischen Raum. Sie bedeutete den
Gästen, zu warten, und verschwand durch eine Seitenpforte. Sibylla sah sich
neugierig um. In der Ausstattung unterschied dieser Raum sich nicht von den
vorherigen. Rechteckige Fenster zeigten auf einen Innenhof. Die Läden waren zur
Seite geklappt, so dass die feinen Musselinvorhänge im Wind wehten. Ein
einsamer Pfau schrie irgendwo draußen, doch sonst war es still. Auf niedrigen,
wunderschön geschnitzten Tischen waren Tabletts mit Rosenblättern und duftenden
Kräutern verteilt. Dann öffnete sich eine Tür, und eine Gruppe Frauen kam
herein. Außer den schwarzen Sklavinnen hatte Sibylla bisher nur einige tief
verschleierte und damit für sie nicht zu erkennende einheimische Frauen durch
die engen Gassen der Medina huschen sehen. Aber hier in ihrem Wohnbereich
verhüllten die Frauen ihr Gesicht nicht. Sie erwiderten Sibyllas Lächeln mit
derselben Neugier und blickten ihr aus ausdrucksvoll schwarz umrandeten Augen
entgegen.
An der Spitze der Gruppe ging eine winzige
alte Dame, die sich auf einen Stock aus geschnitztem Elfenbein stützte. Sie
wirkte gebrechlich, ihr von Falten zerfurchtes Gesicht jedoch war von einem
klugen und freundlichen Blick gekennzeichnet. Sie trug ein locker sitzendes
Gewand aus silbergrauer Seide, das bis zur
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