Die Loewin von Mogador
Sie kamen in Wellen einmal länger, einmal
kürzer und taten so weh, dass es ihr den Atem nahm.
„Ihr Körper bereitet sich mit diesen Wehen
auf die Geburt vor. Er dehnt sich für den großen harten Kopf des Kindes“,
stellte Nadira fest. Sie wich auf ihrem Esel nicht von der Seite ihrer Herrin
und fächelte ihr mit einem großen Palmenblatt Luft zu.
„Bist du Hebamme?“, fragte Sara Willshire,
die ebenfalls an Sibyllas Seite ritt, erstaunt.
Die Dienerin schüttelte den Kopf. „Ich bin
keine kundige Frau, doch ich habe bei vielen Geburten geholfen. Die Herrin
braucht keine Angst zu haben.“
„Wenn ihr und dem Kind nichts geschieht,
bekommst du von mir einen Monatslohn extra“, sagte Benjamin. Er fühlte sich
unbehaglich, nicht nur, weil er keine Ahnung hatte, wie er seine Frau trösten
sollte, sondern auch, weil er sich unentwegt um ihr Wohl und das seines
ungeborenen Kindes sorgte. Um wenigstens etwas zu tun, ermahnte er in
regelmäßigen Abständen die Träger, ja vorsichtig mit der Herrin zu sein, und
warnte sie vor jedem Stein, der auf dem Weg lag.
Rouston hielt sich nicht bei ihnen auf.
Sobald Sibylla sicher auf der Bahre gelegen hatte, hatte er sich auf sein Pferd
geschwungen und war zur Karawanserei galoppiert. Er wollte dafür sorgen, dass
alles für die Geburt vorbereitet war, wenn sie eintrafen. Nadira hatte ihm
erklärt, dass sie eine ruhige Kammer benötigte, abgekochtes Wasser, saubere
Tücher, Bindfaden, Fackeln und Kerzen, damit sie genügend Licht hatte.
Als die erschöpften Träger vier Stunden
später durch das Bogentor wankten, eilte Rouston der Gruppe im Laufschritt
entgegen. „Alles ist fertig. Ich habe eine Kammer in einer entlegenen Ecke
belegt. Madame Hopkins kann sofort hinauf.“
Benjamin hob Sibylla von der Bahre. Sie hatte
die Augen geschlossen. Schweiß stand auf ihrer Stirn.
„Wie geht es dir?“, fragte er besorgt.
„Ich habe Angst“, flüsterte sie, ohne die
Augen zu öffnen.
Ich auch, dachte er. Aber als er sprach,
bemühte er sich, seiner Stimme einen zuversichtlichen Klang zu verleihen.
„Jeden Tag bekommen Frauen Kinder. Meine Mutter hat fünf. Das schaffst du
auch!“
Jetzt blickte sie ihn an und lächelte sogar
ein wenig. „Ich hoffe nicht, dass ich diese Schmerzen fünfmal durchmachen
muss.“
„Ich höre seinen Herzschlag“, sagte Nadira.
„Er ist stark und regelmäßig.“
Sibylla lag mit angezogenen Beinen in einem
winzigen Raum auf der dünnen Herbergsmatratze. Die dicken fensterlosen
Lehmmauern hatten die Hitze des Tages draußen gehalten. Mit der geschlossenen
Tür wurde es zwar wärmer, es war aber immer noch erträglich. Nadira hatte zwei
Fackeln entzündet und in Halterungen an den Wänden gesteckt. Dann hatte sie
sich neben Sibylla gehockt, ihren Kaftan hochgeschoben und ein Ohr auf den
gewölbten Bauch etwas oberhalb des Nabels gelegt. Jetzt hob sie den Kopf.
„Ihr Kind ist kräftig, Herrin, das ist gut.
Wenn Sie erlauben, werde ich jetzt seine Lage tasten.“
Sibylla nickte. Sie hatte weder einen Arzt
noch eine Hebamme, die ihr halfen, aber Nadira schien zu wissen, was sie tat,
und sie vertraute ihr. Auch Sara Willshires Gegenwart beruhigte sie. Die
Konsulsgattin kniete neben ihr und verscheuchte unermüdlich die Mücken, die
über Sibyllas Kopf tanzten. Vor zehn Minuten, als ein Schwall blutigen Wassers
zwischen ihren Beinen hervorgelaufen war, hatte sie Angst bekommen, dass mit
dem Kind etwas nicht stimmte. Aber Sara hatte sie beruhigt: „Das ist nur das
Fruchtwasser. Es kommt immer, bevor das Kind sich aus dem Mutterleib in die
Welt schiebt.“
Vorerst war davon leider noch nichts zu
merken. Die Wehen hatten sogar aufgehört. Aber auch das wäre normal, hatte
Sara, selbst dreifache Mutter, behauptet. Sibylla sollte diese Pause nützen, um
Kraft für die Geburt zu sammeln.
Nadiras Hände lagen flach auf dem Bauch ihrer
Herrin und tasteten ihn Stückchen für Stückchen ab. Schließlich erläuterte sie:
„Das Kind liegt falsch herum, Herrin. Sein Kopf ist oben, sein Po unten. Aber
sorgen Sie sich nicht!“, fügte sie rasch hinzu, als sie Sibyllas erschrockenen
Gesichtsausdruck bemerkte. „Wenn der Po zuerst geboren wird, ist es für die
Frau fast so, als käme der Kopf zuerst.“ Sie zögerte und fügte dann hinzu:
„Vielleicht wird es etwas länger dauern und etwas mehr wehtun.“
Sibylla nickte tapfer. „Solange du mir
hilfst, habe ich keine Angst. Raus kommen sie alle, nicht wahr?“
„Ist die Herrin in Gefahr?“,
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