Die Loewin von Mogador
fragte Sara
dazwischen.
Nadira schüttelte den Kopf. Sie verschwieg
den Frauen, dass bei einer Steißgeburt eher das Leben des Kindes bedroht war.
Wurde die Nabelschnur durch die falsche Lage abgeknickt und das Kind nicht mehr
mit dem Blut der Mutter versorgt, konnte es sterben. Aber sie, Nadira würde
alles tun, damit das nicht geschah.
„Ahhhh!“ Sibylla stöhnte und bäumte sich vor
Schmerz auf.
Sara nahm ihre Hand und hielt sie fest. Jetzt
wird es laut, dachte sie. Gut, dass die Tür schon geschlossen ist!
Benjamin lief unruhig im Hof der Karawanserei
hin und her und blickte immer wieder zu der verschlossenen Kammertür hinauf,
hinter der seine Frau vor vielen Stunden verschwunden war. Am östlichen Himmel
verblasste schon wieder die Schwärze der Nacht. Mit ihr wich die belebende
Kühle, denn mit den ersten Strahlen der Sonne würde auch die Hitze
zurückkehren. Auf dem Dach der Herberge begrüßten Tauben mit leisem Gurren den
nahenden Morgen. Auch die Reisenden erwachten langsam. In einer Ecke der
Karawanserei hatten mehrere Araber kleine Teppiche entrollt und verrichteten
mit dem Gesicht gen Mekka ihr Morgengebet.
Kameltreiber kümmerten sich um ihre Tiere. An
einigen Feuerstellen züngelten kleine Flammen. Der Duft nach Minze und frisch
in der Glut gebackenem Brot wehte Benjamin in die Nase. Seit gestern Mittag
hatte er nichts mehr gegessen, aber er verspürte keinen Hunger.
„Immer noch nichts Neues?“ Rouston blieb
neben ihm stehen. Er war im Stall gewesen, wo er sein Pferd gefüttert und
getränkt hatte.
Benjamin schüttelte den Kopf. „Ich kann mir
gar nicht erklären, warum es so lange dauert.“
„Ja, wir Männer muten den Frauen einiges zu“,
bemerkte Rouston. Er langte in die Innentasche seiner Jacke, zog eine flache
silberne Flasche hervor und reichte sie Benjamin. „Sie sehen aus, als könnten
Sie eine Stärkung gebrauchen.“
Benjamin blickte ihn etwas unsicher an, aber
dann schraubte er die Flasche auf und nahm einen tiefen Schluck. „Ah, das tat
gut.“ Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Auch wenn mir Whisky
besser schmeckt als Cognac.“ Er wollte dem Franzosen den Flakon zurückgeben,
aber dieser winkte ab: „Trinken Sie aus, Hopkins!“
Dankbar setzte Benjamin die Flasche an. Dann
fragte er: „Haben Sie Familie, Rouston?“
Der Franzose schüttelte den Kopf und grinste:
„Nicht dass ich wüsste.“
„Ein Junggeselle also. Aber auch ich habe es
gut getroffen. Für mich haben sich einmalige Chancen eröffnet. Ich habe nämlich
sozusagen eine Reederei geheiratet. “ Benjamin kicherte. Der Alkohol löste
seine Zunge.
Über ihm hinter der geschlossenen Kammertür
ertönten gedämpfte Schreie, und seine Miene trübte sich wieder. „Hoffentlich
geht alles gut!“, murmelte er. „Das Kind ist nämlich etwas zu früh. Ich habe
meiner Frau gesagt, sie soll die Reise nicht machen, aber sie kann sehr
halsstarrig sein, müssen Sie wissen.“
Rouston nickte unverbindlich und schwieg. Er
mochte es, wenn eine Frau ihren eigenen Kopf hatte. Es verlieh ihr einen
besonderen Stolz und eine Selbstsicherheit, die er sehr anziehend fand. Er
dachte an Idri, die Chiadma-Frau, die seit zwei Jahren sein Leben teilte. Sie
hatten sich während eines großen Moussem, eines Jahrmarktes und Volksfestes im
Gebirge, getroffen, bei dem der ganze Stamm zusammenkam. Es wurde viel
gefeiert, getanzt, gesungen und musiziert. Idri war Witwe, eine hübsche Witwe
mit Augen wie Kohlen, Brüsten wie pralle Äpfel und schwingenden Hüften. Bei den
Berbervölkern bestimmten Witwen und geschiedene Frauen selbst, wer ihr nächster
Ehemann wurde und auch, wie lange er es bleiben durfte, denn Scheidungen waren
bei ihnen genauso unkompliziert wie Hochzeiten. André und Idri hatten ihren
Bund vor dem Kadi des Stammes vor fünf männlichen und fünf weiblichen Zeugen
besiegelt. Anschließend hatte André seine Frau auf einem Esel über den
Festplatz geführt. Damit hatten alle gesehen, dass sie ein Paar waren.
Er zuckte zusammen, als über ihm ein markerschütternder
Schrei ertönte. Einige Sekunden herrschte Stille, und die Männer starrten sich
erschrocken an. Dann hörten sie das zarte Geplärr eines Neugeborenen.
„Mein Kind“, flüsterte Benjamin. „Es ist da!“
Er strahlte über das ganze Gesicht. Gleich darauf flog die Tür der
Herbergskammer auf. Sara Willshire kam heraus und beugte sich über das
Geländer. „Kommen Sie, Mr. Hopkins! Begrüßen Sie Ihren Sohn!“
Kapitel
neun -
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