Die Loewin von Mogador
weiteren Einnahmen. Nachdem sich herumgesprochen
hatte, dass die Frauen Seiner allerhöchsten Majestät ihre Füße in englische
Babuschen kleideten, wollten auch die Damen wichtiger Hofbeamter, Kaids und
Wesire die neue Mode mitmachen. Ohne dass Sibylla sich viel darum bemühen
musste, wuchs ihr eigenes kleines Handelsgeschäft, und ihr vor der Geburt von
Thomas gefasster Entschluss, zum Wohle ihrer Ehe mit dem Handeln aufzuhören war
schnell vergessen.
Rusa und Lalla Jasira vermittelten ihr viele
der Geschäfte und erhielten dafür jeweils eine kleine Gebühr. Mit einem Teil
der Einnahmen bezahlte Sibylla Waren, die sie nach London exportierte. Dank
Lalla Jasira bekam sie Kontakte zu Händlern, die Seide, Brokat und Damast in
bester Qualität lieferten – Stoffe, die in England sehr begehrt waren. Benjamin
beklagte sich zwar, dass sie ihm Frachtraum auf den Schiffen wegnahm, aber
Sibylla machte das Handeln viel zu viel Spaß, um damit aufzuhören. Niemand
außer ihr wusste von dem Kästchen, auch nicht Benjamin, der ihre Geschäfte
ohnehin nur für törichte Spielereien hielt, mit denen sie ihre Mitgift
verschleuderte.
Sibylla trug das Kästchen zu ihrem
Schreibtisch, zog eine dünne Kette, an der ein kleiner Schlüssel hing, unter
ihrem Kleid hervor, schloss es auf, nahm ein in Leder gebundenes Heft heraus
und schlug es auf. Dann tauchte sie ihre Schreibfeder ins Tintenglas, schrieb
„5. Dezember 1839“ auf die Seite und verzeichnete darunter die Ausgaben für
fünf Kisten Samtschals, die heute in Mogador eingetroffen waren und den
Londoner Damen im nasskalten englischen Winter die Schultern wärmen sollten.
Der Händler hatte beteuert, dass die Ware aus Kaschmir stammte – möge Allah ihn
mit Blindheit schlagen, wenn er es wagen sollte, der Engliziya minderwertige
Qualität zu liefern!
Sibylla streute Sand über die feuchte Tinte,
klappte das Notizbuch zu, legte es wieder in den Kasten und verschloss ihn
sorgfältig. Als sie den Diwan wieder an die Wand schob, klingelten die Münzen
darin leise, und sie lächelte zufrieden. Wieder hatte sie sich bewiesen, dass
sie gute Geschäfte machen konnte, genau wie die Männer.
Es klopfte an der Tür, und Firyal kam herein.
Sie hielt ein Tablett, auf dem ein Glas warme Mandelmilch und ein Teller
Sesamkonfekt standen, und stellte alles auf den flachen Tisch vor dem Diwan.
„Bitte, Herrin“, sagte sie und blickte dabei
unsicher auf ihre Füße. „Wünschen Sie noch etwas?“
„Danke, Firyal, das war alles“, erwiderte
Sibylla freundlich.
Die Dienerin entfernte sich eilig. Sibylla
sah, dass sie ein neues buntes Kleid trug, das sie eng um ihre üppigen Hüften
gewickelt hatte. Vermutlich war der Stoff der Lohn für die Nächte, die sie in
Benjamins Schlafzimmer verbrachte.
Kurz nach Johns Geburt, als Sibylla und
Benjamin getrennte Schlafzimmer bezogen hatten, hatte er die Dienerin in sein
Bett geholt. Ihr war schon länger aufgefallen, wie gierig er auf Firyals
Hinterteil oder ihre üppigen Brüste starrte, wenn sie sich weit vorbeugte, um
ihm Tee einzugießen. Nachts hatte sie das verräterische Tappen von Füßen auf
den Holzbohlen gehört und das leise Klappen von Türen, und am darauffolgenden
Tag war Firyal ihr ausgewichen. Dabei war Sibylla weder ihr noch ihrem Ehemann
böse – im Gegenteil: Es war ihr ganz recht, wenn Benjamin seine männlichen
Gelüste bei der Dienerin auslebte. Sie hatte die körperliche Seite ihrer Ehe
nie geschätzt, und es machte ihr nichts aus, ganz darauf zu verzichten. Die
Zeit, als sie gehofft hatte, sie würden zu einer Familie zusammenwachsen, lag
ohnehin lange zurück.
„Nun lässt der Englizy schon Pferde fliegen!
Was kommt als Nächstes, ein fliegendes Schiff?“ Kaid Hash Hash legte zum Schutz
gegen die Sonne eine Hand über die Augen und blinzelte das prächtige fuchsrote
Tier an. Da die Gangway zu schmal war, hatten die Seeleute das Pferd mit Gurten
an dem Flaschenzug festgeschnallt, der über die Rahen des Großmastes lief. Nun
schwebte die wertvolle Fracht vom Deck der Queen Charlotte direkt über
Benjamin, dem Kaid und dem Hafenmeister, die mit einem sich stetig
vergrößernden Kreis Schaulustiger auf dem Kai standen und das Spektakel
beobachteten. Nuri bin Kalil übersetzte, denn im Gegensatz zu seiner Frau
sprach Benjamin auch nach mehr als drei Jahren in Marokko kaum Arabisch.
Die Bemerkung des Kaids quittierte Benjamin
mit einem herzhaften Lachen. „Was als Nächstes kommt? Ein fliegender
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